Erlebnisbericht  Gerhard  Richter - Druckerei  Richter  Stadtroda

 

Der Krieg war vorbei, es gab keinen Fliegeralarm mehr, Deutschland wurde besetzt, Stadtroda am 12.04.1945 und Hermsdorf am 13.04.1945 von den Amerikanern. Thüringen am 04.07.1945 dann von der Sowjetarmee. Gleich danach erfolgte die große Verhaftungswelle durch die Russen, bei der auch mein Vater zu einer Unterredung abgeholt wurde, von der er nie zurückkehrte.
Trotzdem war alles hochinteressant, was so passierte, und als Junge im Alter von 10 Jahren wollte ich doch alles wissen. Obgleich unsere Druckerei und das ganze Haus geräumt werden mussten, Dank einiger besonders „guter Freunde“, die Russen wollten eigentlich die Sparkasse zur Kaserne und Kommandantur machen, wurde so lange diskutiert, bis dann letztlich unser Haus dafür fällig wurde. Alle Wohnungen mussten binnen 24 Stunden geräumt werden, desgleichen auch der Betrieb musste ausgelagert werden, was aber wegen der schweren Maschinen überhaupt nicht möglich war. Auf Sparflamme wurde vier Monate in einer Turnhalle auf dem Lohmberg gearbeitet, bis wir endlich mit großem Aufwand wieder in unser Haus zurückkehren konnten, um erst einmal festzustellen, was alles demoliert und versaut worden ist.

Eines Tages erhielt unser Meister die Aufforderung, eine Druckerei zu besichtigen, ob da etwas Brauchbares für uns nützlich sein könnte. Es handelte sich um die kaum bekannte Todt - Druckerei im Keller des Rasthofes Hermsdorfer Kreuz. Mit einem LKW fuhren etliche uns noch verbliebene Mitarbeiter dorthin und ich fuhr aus Neugier und Langeweile mit. Meine hochschwangere Mutter war sicher froh, mich Quirl für einige Stunden vom Hals zu haben, denn Schulunterricht gab es ja noch nicht. Wir fanden dort einen so gut wie demolierten Betrieb vor. In den Setzergassen lag knöcheltief das Blei, was eigentlich wertvolle Lettern waren. Unsere Mitarbeiter prüften die Setzkästen auf annähernde Vollständigkeit und wir nahmen dann etliche Schriftregale, die noch verwendbar erschienen, mit nach oben zum LKW, doch alles andere war vorwiegend Schrott. Über die vorhandenen Maschinen kann ich keine Aussagen machen, davon verstand ich damals zu wenig, außerdem war das auch für die Mitarbeiter uninteressant, da ja das ausreichend vorhanden war. Später konnte ich dann noch nachvollziehen, dass die vorhandenen Maschinen den modernsten Stand der alten Bleitechnik entsprochen haben. Den Beweis dafür fand ich versteckt in unserem Betrieb in einem verschnürten Paket mit Zinkätzungen (Klischees), die für den Bilderdruck benötigt werden. Das Paket trug die handschriftliche Aufschrift „Die Feuerkreuzler in Frankreich“. Damit konnte ich nichts anfangen, erfuhr aber dann, dass das eine nazistische Organisation in Frankreich (vor und während der Besetzung) war. Unsere Druckerei wurde also in letzter Minute noch verpflichtet, im Falle einer Bombardierung des Rasthofes diese Broschüre herzustellen. Ein Glück, dass ich diese Druckstöcke vernichten konnte, denn wären diese in unrechte Hände gekommen, hätte das sicher böse Folgen gehabt. Einmal neugierig geworden, stöberte ich weiter und fand zu meinem Entsetzen noch Lettern und sogar Setzmaschinen-Matritzen mit Nazisymbolen aus der Zeit der Zeitungsdruckerei. Zur Todt - Druckei wäre noch zu bemerken, dass ein ehemaliger Kollege aus Schleifreisen eine kleine Hand-Tiefdruckpresse mit zu sich nach Hause nahm. Dazu hätte er natürlich auch Zubehör gebraucht, dazu ist mir aber nichts überliefert.

Kurz nach der Aufgabe der Todt - Druckerei im Rasthof wurden dann in der Umgebung noch umfangreiche Papierlager entdeckt. Auch die habe ich dann zum Teil mit ausgeräumt, so zum Beispiel im Saal der Gaststätte „Deutsches Haus“ in St. Gangloff und im Saal der Ölknitz. Weitere Papierlager hatte es noch um Kahla gegeben, denn der GHG Haushaltwaren Kahla hat mir noch über die ganze DDR - Zeit Papier angeliefert, die ich schneiden und sogar bedrucken durfte. Sicher war dies ein streng gehütetes Geheimnis, da doch in der DDR über jedes Blatt Papier Rechenschaft abgelegt werden musste.
Von all dem konnte mein Vater nichts mehr erfahren, denn nach seiner Verhaftung durch die Russen starb er am 06.12.1946 im NKWD-Lager „Fünfeichen“ (siehe Anhang) bei Neubrandenburg, wo er in eines der vielen noch teils unbekannten Massengräber verscharrt wurde. 

Gezeichnet Gerhard Richter

 

 
Anhang 1:
Das Stammlager Neubrandenburg im heutigen Stadtgebietsteil Fünfeichen von Neubrandenburg wurde als Stammlager (Stalag) II A des Wehrkreises II, Stettin, 1939 als Kriegsgefangenenlager der deutschen Wehrmacht errichtet und bestand bis 1945. Danach wurde es bis Anfang 1949 von der sowjetischen Besatzungsmacht als Speziallager genutzt. Das Lager bestand bis zum Januar 1949 unter dem Namen „NKWD-Lager Nr. 9 Fünfeichen“, in dem ungefähr 15.000 Frauen, Männer und Kinder interniert gewesen waren. Auflösung des Lagers in der Zeit von Juli bis September 1948 wurden 5.181 Häftlinge in die Freiheit entlassen. Nicht entlassen wurden 2.801 Häftlinge. Davon wurden 2.609 Häftlinge in das ehemalige KZ-Lager Buchenlager und 192 Häftlinge (Restkommando) in das ehemalige KZ-Lager Sachsenhausen überstellt. Im Lager Fünfeichen sind nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand  5.169 Männer,  Frauen und Jugendliche ums Leben gekommen. Im Januar 1949 war die Existenz des NKWD-Lagers Nr. 9 Fünfeichen beendet.
 

Anhang 2:
Nach der Wende stellten die neuen Pächter des Rasthofes fest, dass die Räumlichkeiten im Erdgeschoss größer sind als die im Keller. Man spekulierte damals in Richtung Bernsteinzimmer. An der Stelle, hinter der sich weiterer Raum befinden musste, wurde ein Loch gebohrt, durch welches ein Mann kriechen konnte. Dahinter befand sich ein großer leerer Raum, mit verschiedenen Kabeln an Wänden und der Decke.
Im Rahmen der Ausstellung zur Geschichte des Rasthofes (Oktober 2008 bis Februar 2009) erzählte uns dann Herr Richter von der Druckerei. Diese war in dem gefundenen bunkerähnlichen Gebilde untergebracht, der sich von der Giebelseite des Rasthofes bis zur Fahrbahn der A 4 erstreckt.