Alte Regensburger Straße 15 - Gaststätte „Altenburger Hof“ Teil 2 ab 1945

 

Die harte Nachkriegszeit war geprägt von einer schweren Krankheit des am 23.08.1945 aus Gefangenschaft heimgekommenen Fritz Remme, er hatte Typhus. Im gesamten Bekanntenkreise, wo es selbst an allem fehlte, wurde zur Heilung eingemachte Erdbeeren zusammengetragen und täglich ins Krankenhaus gebracht.

Am 14.12.1945 meldete Fritz Remme sein Gewerbe wieder an.

Gewerbeanmeldung vom 14.12.1945 mit Nachweis über das Gewerbe seit dem 18.11.1913
Gewerbeanmeldung vom 14.12.1945 mit Nachweis über das Gewerbe seit dem 18.11.1913
Das Geschäft wurde langsam wieder aufgebaut, u.a. mit Gemüsesülze in der Fleischerei und mit viel Schnaps, der damals in Weinballons gehandelt wurde. Und das bei den wirtschaftlichen Hürden in der damaligen russischen Besatzungszone.
Fritz und Lene Remme auf ihrem PKW 1948 auf dem Hof der Gaststätte. Das Kennzeichen SL stand für Sowjetische Besatzungszone Sachsen (Leipzig), Thüringen hatte "ST".
Fritz und Lene Remme auf ihrem PKW 1948 auf dem Hof der Gaststätte.
Das Kennzeichen SL stand für Sowjetische Besatzungszone Sachsen (33 für Leipzig), Thüringen hatte "ST".

Ein Beispiel für die Ehrlichkeit aus dieser Zeit, trotz Armut und Mangel an allem: Fritz Remme machte Leberwurst. Warum auch immer mit dem Ehering. Diesen „fischte“ schließlich eine selbst bedürftige Kundin aus der Leberwurst und brachte ihn Fritz Remme zurück.

Dann kam der nächste Schlag, das Geschäft wurde verstaatlicht, die Fleischerei wurde zur ersten HO-Verkaufsstelle ernannt, die Fleischproduktion bis auf Ausnahmeproduktion liquidiert. Die Gaststätte durfte halbstaatlich in Kommission weitergeführt werden.

Ansicht des Hauses um 1958
Ansicht des Hauses um 1958 - HO Fleischwaren.
Links das Geschäft ehemals Ofensetzer Rudolph - hier Konsum.
Rechts neben der Gaststätte Konsum "Beleuchtungskörper und Möbel".
Drei Fleischergesellen in der Fleischerei Fritz Remme 1951. Vorn Dietrich und Heike Remme.
Drei Fleischergesellen in der Fleischerei Fritz Remme - vorn Dietrich und Heike Remme.
Das Schlachthaus wurde kurzfristig zur Schlachtung für den Kreis Stadtroda genutzt, das heißt, die Fleischer wurden zur Schlachtung hierher delegiert.

Ab Mitte der 1950er Jahren ging es wieder aufwärts. Es wurde gehandelt - Schwarz auch bei Sonnenschein, es wurde gefeiert und getanzt trotz Mangel an allem. Es war die Freude und Zuversicht nach dem 2. Weltkrieg in die Zukunft zu schauen. Das Fröhlichsein in der Gastwirtschaft brauchte eigentlich keinen besonderen Anlass, es war einfach gesagt ein regelrechtes Vakuum da zum Fröhlichsein nach dem großen Leid aus dem Krieg. Außer den Feiertagen wurden die traditionellen Feste gefeiert, wie Bockbierfeste mit den Papiermützen und Dorffeste jeglicher Art.

Autos waren noch rar, die Pferdefuhrwerke waren noch prägnant. Nicht nur auf der Straße, sie standen täglich und zahlreich im Hof, im Torweg und vorm Hause auf der Straße. Das Frühstück dauerte bis Nachmittag. Dietrich Remme musste manchmal die Hufe rot oder ein Pferd als Zebra „umstreichen“.

Emil Bratfisch „Schulze-Michels-Emil“
Emil Bratfisch „Schulze-Michels-Emil“

Es wurde gesungen und geschunkelt bei Klaviermusik. Das Tonband kam auf den Markt, der Tobas mit der Mordsspule. Emil Bratfisch „Schulze-Michels-Emil“ spielte auf dem Klavier den Flohwalzer und der RIAS brachte 5 Minuten später Emils Flohwalzer. Ungläubig rief Fritze: „Das kann doch nicht sein?!" Man hatte den Flohwalzer auf Band aufgenommen und an den RIAS geschickt und zur vereinbarten Zeit gesendet.

Dem „Suddenstöpsel“ - Oskar Dölz (aus der heutigen Alten Regensburger Straße 24) wurde ein Maulwurf in die Tasche gesteckt. Ab da hatte er seinen neuen Spitznamen weg und wurde nun „Maulwurf“ gerufen. Dem ahnungslosen Leser sei verraten, dass ein Suddenstöpsel der Verschluss eines Fäkalienfasses [Sudde = holzländisch Jauche] ist, mit dem zu Zeiten, als es noch keine Kanalisation gab, die Hinterlassenschaften der Hermsdorfer Bürgerschaft abgefahren wurde. Ab und an zogen ungezogenen Kinder diesen Verschluss und der Spezialfuhrwerkslenker hatte seinen Namen weg.

Emil Rickel saß täglich am Kachelofen fragte, wenn einer reinkam: „Haosde eens varr mich iwrich?“ (Hast Du eins für mich übrig? - sollte heißen: Gibst du mir ein Bier aus?). War ein edler Spender gefunden kam: „De bisd e juder Kerl“. (Du bist ein guter Kerl). Gab es kein Bier hieß es: „Du ehlener Misdjunge!“

Am 17.06.1954 – dem ersten Jahrestag des Volksaufstandes – wurde der Schustermeister Willy Immisch „zur Feier des Tages“ auf den Kachelofen gesetzt und durfte dort sein Bier trinken.

Schustermeister Willy Immisch „zur Feier des Tages“ auf den Kachelofen    Schustermeister Willy Immisch „zur Feier des Tages“ auf den Kachelofen
Links Willy Opel - auf Ofen Willy Immisch (Schuhmachermeister, damals Ernst-Thälmann-Str. 16) - rechts Fritz Remme.

Willy Immisch hatte die Spitznamen „Rehauge“ oder „mä Mähkafer“, weil er junge Mädels immer mit „mein Rehauge“ oder „mein Maikäfer“ ansprach.

14-tägig stand große Wäsche an. Im ehemaligen Eishaus, früher wurde im Winter (da gab es noch welches) das Eis in Blöcke gesägt und zur Fleischkühlung im Eishaus gelagert. Fünf bis sechs Frauen rumpelten die Wäsche. Was machten die Fleischer? Sie schmierten Blut an „bestimmte Stellen“ der sogenannten Pumphosen.

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die Gaststätte Heimstätte auch vieler Vereine war und heute wieder ist. Im April 1946 fand zum Beispiel dort die erste Vorstandssitzung der wieder ins Leben gerufenen Maibaumgesellschaft statt, weitere folgten.

Blick in die Ernst-Thälmann-Straße heute Alte Regensburger Straße im Jahr 1956 zur 700-Jahr-Feier
Blick in die Ernst-Thälmann-Straße heute Alte Regensburger Straße im Jahr 1956 zur 700-Jahr-Feier

Auch legendär waren die regelmäßigen Kartenspielrunden.
Auch legendär waren die regelmäßigen Kartenspielrunden.

Es gab keinen Dunkelbock, was machte Remm‘ s Fritze? Spund vom Bierfass geöffnet, Zuckercouleur reingeschüttet, dreimal hin- und hergerollt, der Dunkelbock konnte laufen.

Der Dunkelbock hatte weiter an Tradition gewonnen mit dem Lemnitzhammer Dunkelbock in den 1970er und 1980er Jahren. Ein traumhaftes Gesöff, mit verheerenden Folgen für manchen Zecher.

Lemnitzhammer Dunkelbock
Im Jahr 1968 (Dietrich Remme war zum Studium) wurde das Haus völlig Umgebaut.
Im Jahr 1968 (Dietrich Remme war zum Studium) wurde das Haus völlig Umgebaut.
Der Quergiebel wurde zurück gebaut und das Dach einfach gestaltet.
Die Simse und Verzierungen über den Fenstern wurden entfernt. Das Haus wurde einfach verputzt.
Dazu mussten die Klinkersteine zerschlagen werden, damit der Putz haftete.

Das Haus 1969 nach dem Umbau.
Fritz Remme mit Bück-Dich-Ware
1969 Fritz Remme mit Bück-Dich-Ware

Prägend in dieser Zeit war die „Glatzkopfbande“. Heike Remme scherte die Köpfe auf dem Hof. Manfred Rubin ging zum Werner Rosenkranz „Winkelmann“. Remm‘ s Fritze sagte zu Rubin: „Manfred du musst jetzt den modernen Schnitt tragen, Typ 1 (eine Anspielung auf die LPG Typ 1 = alles weg). Der sieht gut aus!“ Gesagt getan der Friseur Werner Rosenkranz wurde verständigt, als Manfred kam und wollte Typ 1 bekam er Glatze, so ging das seine Gang.

Eine Stammtischrunde, die sich wegen einer Wette Glatze schneiden ließen.
Eine Stammtischrunde, die sich wegen einer Wette Glatze schneiden ließen.

Der 1.Mai war ein Tag, wo nicht mehr, sondern noch mehr in die Gaststätte hineingingen. Das sind nur ein paar Augenblicke an Erinnerungen an die vielen schönen Stunden, an die mancher Gast noch heute denkt.

Stammtischrunde von links: Peter Rüdiger, Wilfried Erbert †, Werner Gräfe † und Hans-Jürgen Gäbler.
Stammtischrunde von links:
Peter Rüdiger, Wilfried Erbert †, Werner Gräfe † und Hans-Jürgen Gäbler.

Der "Altenburger Hof" im Jahr 1956, links im Haus befand sich ein Ofengeschäft. Das nächste Haus wurde Mitte der 1960er Jahre abgerissen.
Der "Altenburger Hof" im Jahr 1956, links im Haus befand sich ein Ofengeschäft. Das nächste Haus wurde Mitte der 1960er Jahre abgerissen.


Blick in den ehemaligen Verkaufsraum der Fleischerei.
Blick in den ehemaligen Verkaufsraum der Fleischerei.
Die Warenleiste rechts im Bild wurde in den neuen Gastraum integriert.

Zwischendurch hat Fritz Remme mit Bravour verschiedene Krankheiten überstanden, dreimal Lungenriss, dreimal Hüftoperationen. Letztlich führten Herzprobleme im Jahr 1987 dazu, dass Dietrich Remme das Geschäft am 01.10.1987 übernahm.

Die Wende kam, aber die Gäste nicht mehr. Offene Grenzen und die neuen Freiheiten trieben die Gäste in andere Richtungen. Viele andere „Kneipengänger“ konnten es sich nicht mehr leisten. Der letzte Gast war Herr Grabow. Dietrich Remme musste die Reisleine ziehen. Er suchte sein wirtschaftliches Glück in der Fleischbranche, fand es und verlor es wieder. Der alte Slogan wurde zur neuen Devise, zurück in die Region, die alten Traditionen aufleben lassen.

Seit 1914 haben sich die vielen Gäste aus nah und fern, ob jung ob alt, ob bedürftig oder betucht in diesem Hause wohlgefühlt. Dietrich Remme machte es sich nicht leicht, als er den Entschluss fasste, als „Alleinunterhalter“ die Gaststätte wieder zu öffnen und die alte Tradition des Hauses weiter zu führen. Für die heutige Arbeitsmarktsituation befindet er sich schließlich in einem „greisen Alter“ und gilt als „nicht mehr vermittelbar“.

 

Er schaute aber trotzdem optimistisch in die Zukunft, weil er mit seinen Eltern, seine Kinder und seiner Schwester nebst Schwager und letztendlich Karin Riedel als Profigastronomin und Gatte Reinhard ihm den Mut machten und ihn hilfreich zur Seite standen.
Bevor es am 02.12.2006 zur Wiedereröffnung der alten Hermsdorfer Gaststätte - hier ist ohne Übertreibung der Kosename „Die kleine Kneipe in meiner Straße“ angebracht - kam, waren aber noch Hürden zu überwinden und der deutsche Amtsschimmel zu befriedigen. Es soll nur ein Beispiel angeführt werden. Die Neueröffnung sollte fast daran Scheidern, dass die Küche von Amtswegen als 7 cm zu niedrig befunden wurde. So steht es angeblich in einer der zahllosen Verordnungen. Übrigens die einzige Gastwirtschaft in Hermsdorf, wo die Küche voll gefliest ist. Den Holzländern läuft der Ruft eines Dickschädels voraus und auch diese Hürde wurde genommen.
Zur Neueröffnung wurde Remm‘ s Fritz die Ehre zu teil, das erste Bier zu zapfen. Was er in seiner nur für ihn typischen Art servierte, und dann die Hände auf den Rücken verschränkt, „Zum Wohl!“ wünschte.

Seit der Eröffnung hat sich inzwischen viel getan. Der „Altenburger Hof“ hat sich seinen Platz in Hermsdorfs Gaststätten zurückerobert und wird angenommen. Inzwischen ist er auch wieder Treffpunkt für viele Hermsdorfer Vereine, ehemalige Arbeits- oder Sportkollektive.

Wie viele Häuser der heutigen Alten Regensburger Straße wurde in der Vergangenheit das Aussehen dieser Objekte völlig verändert. Die ehemalige „Centralhalle“ und auch der „Altenburger Hof“ zählen dazu. Schmucklose graue Bauten, statt ehemals schöner Ziegelbauten. Umso erfreulicher ist die Sanierung der Außenfassade des „Altenburger Hofes“ anzusehen.
Der alte Ziegelbau konnte zwar nicht wieder hergestellt werden, Dietrich Remme hat aber eine Form gewählt, die dem Original nahekommt. Die Farbgebung und Gestaltung wurde dem Aussehen von einst ähnlich gestaltet. Durch seine rote Farbgebung, helle Unterteilung und Einbau der dem Original ähnlichen Fenstersimse ist nun die alte Handelsstraße um ein Schmuckstück reicher geworden.


Vor der Sanierung
Der "Altenburger Hof" heute, die Jahreszahl 1913 bezieht sich auf den Familienbesitz. Das Gründungsdatum der Gaststätte war 1902.
Der "Altenburger Hof" heute, die Jahreszahl 1913 bezieht sich auf den Familienbesitz.
Das Gründungsdatum der Gaststätte war 1902.
Der "Altenburger Hof"
Der "Altenburger Hof"
Der "Altenburger Hof"
Der "Altenburger Hof"
Der "Altenburger Hof"
Fritz Remme
Fritz Remme
* 04.02.1920   † 11.09.2018
 
Wir haben mit ihm einen guten Freund und
Hermsdorf ein Original verloren.
Unser Mitgefühl gehört den Angehörigen.
Wir werden sein Andenken wahren und Fritz immer
in guter Erinnerung behalten.
 

 

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