Ereignisse am Ende des 2. Weltkrieges - Bombenangriffe vom 09.04.1945 und die Tage danach

Auszug aus einem Tagebuch von Otto Queißner
Blau gezeichnete Teile ergänzt, bzw. Uhrzeiten auf heutige Schreibweise geändert
 

Montag, 09.04.1945   "Der Tag der Hermsdorfer Feuertaufe"
Dieser Frühlingstag wird wohl allen Hermsdorfern in dauernder Erinnerung bleiben. Zur gewohnten Stunde eilen die Hermsdorfer Werktätigen und die Fremdarbeiter aus dem Ostlager und Ziegeleilager zu ihren Arbeitsstätten. Dann haben die Straßen sich geleert, nur die Hausfrauen machten schnell noch ihre wichtigen Einkäufe. Gegenüber den letzten Tagen ist die Zahl der dahinjagenden Jabos [Jagdbomber] größer, und unaufhörlich brummen über uns in großer Höhe starke Bomberverbände. Ganz plötzlich sind um 09:45 Uhr auf dem HESCHO - Gelände in der Nähe des Handwerkerhauses und Gelände II ein paar Bomben gefallen. Leider wurden dabei drei Personen tödlich getroffen:

  • Ernst Alex Besener * 02.02.1883 Lausigk, aus Hermsdorf,
  • Walter Hänseroth * 25.04.1904 Schleifreisen, aus Schleifreisen und
  • Charlotte Gleißner * 31.07.2926 Oberndorf, aus Oberndorf.

Die Leichen hat man in einem Hofraum des Rathauses aufgebahrt. Gegen Mittag ist eine Pause in der feindlichen Fliegertätigkeit eingetreten, eine beängstigende Stille, nur das Brummen in größeren Höhen dauert an. Luftwarnungen und Entwarnungen waren am Vormittag häufig aufeinander gefolgt.
Es war kurz nach 12:30 Uhr, als die Sirene einen neuen Fliegeralarm ankündigte und man hörte auch schon ein deutliches Brummen von Fliegern. Meine Frau und die Kinder waren in den Keller geeilt. Am Südwesthimmel erkannte ich eine Gruppe von 3 Flugstaffeln in mittlerer Höhe, die augenblicklich aus der Richtung von Stadtroda zum Hermsdorfer Kreuz flogen. Plötzlich schwenkte diese Gruppe genau in Richtung Hermsdorf ein. Ich hatte kaum den Keller erreicht, als sich ein deutliches Rauschen und Pfeifen vernehmen ließ. Einschläge von Bomben brachte das Haus zum Zittern, und die Luft vibrierte von den explodierenden Bomben. Nur wenige Sekunden hatte der Bombenhagel angedauert; denn gleich darauf hörte man es prasseln und knistern.
Auf dem Felde neben der Ziegelei lagen einige Brandstäbe verstreut, und die kleine Scheune hinter der Schule stand in hellen Flammen.
Auf meinem sofortigen Kontrollgang zur Schulstraße fand ich beim Einbiegen in die Schulstraße erste Spuren der Bomben auf der Straße und die Splitterwirkung an den Häusern (Erich Hüllner Kistentischler und Karl Kistenfabrikant, Schulstraße 50). Bis zur Schule war keines der Wohnhäuser direkt getroffen worden. Aber hinter Schule und Kirche stiegen schwarze Rauchsäulen mit züngelnden Flammen empor. Die Straße war nur menschenleer; viele hatten sich noch nicht gleich von diesem Schrecken erholt.

Vor dem Mittelbau der Volksschule war neben dem alten Denkmal ein tiefer Bombentrichter, aus dem noch Rauch aufstieg. Am Eingang zum Schulhofe links befand sich der nächste tiefe Bombentrichter, rechts vor dem Eingang zur Turnhalle ein weiterer. Wieder ein anderer befand sich neben dem mittleren Seiteneingang des neu gebauten, aber noch unvollständigen Luftschutzbunkers zwischen Hof und Gartengelände. Aus dem Haupteingang dieses Bunkers kam gerade unser alter Schulhausmann Mählig (später im Rahmen der Entnazifizierung entlassen und Nachfolger war Ernst Kirchner) heraus, vom Schrecken noch vollständig unfähig, mir irgendwelche Mitteilung machen zu können.

Verdächtige Geräusche veranlassten mich, eiligst den Mittelbau und das Mittelschulgebäude auf ihre Unversehrtheit zu prüfen. Ein flüchtiger Blick in den Klassenräumen der Mittelschule bestätigte, dass dieser Gebäudeflügel ungeschädigt war. Deshalb eilte ich sofort auf den Boden, um über den Mittelbau Gewissheit zu bekommen.
Schon beim Öffnen der Bodentür erblickte ich in der Ecke gegenüber das durchgeschlagene Dach und darunter eine aufgerissene Diele. Bei genauerer Betrachtung sah ich, dass die Bombe sämtliche Stockwerke durchschlagen hatte und jetzt im Keller an den alten Schulbänken einen Brand entfacht hatte. Noch beim Hinabeilen über die Haupttreppe des Mittelbaues zersprangen noch die letzten in den Fluren verstreuten Brandstäbe, die auf den Steinfliesen jedoch keine ernstliche Gefahr hervorrufen konnten. Der Brand im Keller aber musste sofort gelöscht werden. Alle schnell erreichbaren Feuerlöscher, Handspritzen und Wassereimer brachte ich in die Nähe der Brandstelle. Dann öffnete ich den Eingang zur Kellertür, brachte den ersten Feuerlöscher zur Auslösung und lenkte den kräftig sprühenden Strahl in die Nähe des Brandherdes unter Beachtung der notwendigen, eigenen Sicherheit. Wie bei den jahrelang vielfach durchgeführten Brandlöschübungen wurden die jetzt schnell auseinandersprühenden Reste der Thermitbombe unschädlich gemacht. Die Löschung der brennenden hölzernen Sitzbänke erfolgte darauf noch schneller, sodass der Brand in diesem Keller keine weitere Ausbreitung nehmen konnte. Die Brandstäbe, die in den beiden Fluren verstreut lagen, waren inzwischen von selbst erloschen.

Sofort nahm ich darauf die Überprüfung des alten Schulgebäudes vor. Ein Überblick über sämtliche Räume einschließlich des Bodenraumes zeigte völlige Unversehrtheit. Unglücklicherweise war wenige Meter von dem alten Schulgebäude entfernt ein Bretterstapel von etwa 4 m Höhe an der Schulstraße auf dem Gelände der Kistenfabrik von Puchta von Brandbomben getroffen worden, und es hatte sich hier ein mächtiger Brand entwickelt. Niemand war auf der Straße, der mir bei der Löschung hätte mithelfen können. Allein war ich dazu machtlos. Die Nachbarn waren nach dem Bombenabwurf zunächst ortseinwärts geeilt, um beim Löschen der vielen Brandstätten zu helfen. Die getroffenen Häuser brannten unter der Wirkung der abgeworfenen Brandstoffe wie lodernde Fackeln. Überall wurde versucht, das Nötigste an Hab und Gut zu bergen, soweit dies überhaupt noch möglich war. Die meisten konnten sich mit ihren Angehörigen nur durch eilige Flucht aus den brennenden Häusern zu retten. Die Hilfskräfte hatten sich da eingesetzt, wo die größte Gefahr drohte.

Auf der Suche nach Hilfe für das alte Schulgebäude eilte Kollege Kramer mit dorthin. Der brennende Bretterstapel war inzwischen völlig von den Flammen erfasst, die bis in die Höhe des Schuldaches emporschlugen und von dem herrschenden Nordwind nun zum Schulgebäude hingetrieben wurden. Sofort wurde ein nochmaliger Kontrollgang durch die Klassenräume unternommen, die nach der gefährdeten Stelle hin lagen. Die Flammen hatten schon die Fensterumrandungen in Brand gesetzt und die Scheiben zersprangen. Mehrfaches Besprühen mit der Handspritze ließen die Flammen nur vorübergehend ersticken. Inzwischen war schon der Bodenraum völlig verqualmt; denn der Dachkasten hatte schon Feuer gefangen. Da keine anderen Hilfskräfte zur Stelle waren, musste leider der Dachraum als Brandabschnitt dem Raube der Flammen überlassen werden. Mit dem Bekannt werden, das die Schule brennt, kamen endlich die ersten Hilfskräfte herbeigeeilt. Während das brennende Dach allmählich unter der Last der Schiefer zusammenstürzte, wurde von einer schnell zusammengestellten Bergungsmannschaft die Kleidersammlung, die für die kämpfenden Truppen bestimmt war, in den Mittelbau gebracht. Wertvolle Möbel, mehrere Nähmaschinen, ein Klavier wurden aus dem brennenden Gebäude getragen, und teils in der Turnhalle sichergestellt. Auch Schulmobiliar, Schultafeln und zugehörige Gestelle, soweit sie schnell entfernt werden konnten, wurden auf dem Bürgersteig gegenüber der alten Schule abgestellt. Wertvolle Apparate, Akten und Bücher fanden Aufnahme in dem anderen Schulgebäude.

Nachdem die letzten Dachsparren des Daches zusammengestürzt waren, wurde der Versuch unternommen, mit Handspritzen die noch brennenden Balken des zusammengestürzten Daches zu löschen. Leider waren die Wassermengen nicht ausreichend. Nachmittags erschienen auswärtige Feuerwehren. Die Löschung des Schulbrandes übernahm die Stadtrodaer Feuerwehr, die hauptsächlich aus Frauen und Mädchen bestand. Dem Feuerwehrführer wurde der Hinweis gegeben, den Brand von den oberen Stufen der steinernen Schultreppe aus zu bekämpfen, weil damit die beste Gewähr für sichere Eindämmung des Feuers gegeben sei. Leider wurde das Löschen nur von außen vorgenommen.
Bei dem Bombenabwurf waren folgende Grundstücke betroffen worden:

Nachfolgende Skizzen war nicht Bestandteil des Tagebuches von Otto Queißer. Zusammen mit einem Artikel veröffentlichte er diese in einem Zeitungsartikel am 17.10.1949 in der Zeitung "Das Volk", aus Anlass der Wiedereröffnung der Schule am 15.10.1949 nach dem Neuaufbau. Beide Skizzen wurden hier übernommen. Die von Otto Queißer auf der Skizze auf der Skizze zum Schulhof eingezeichneten Bombentreffer sind unvollständig. Nach der Wende gaben die Amerikaner Luftbildaufnahmen frei, die diese einen Tag nach den Angriffen aufgenommen hatten. Diese Aufnahmen belegen, dass es auf dem gesamten Schulgelände weit mehr Treffer gab als eingezeichnet und die Streurichtung etwas anders war. Die Angriffe begannen am Hermsdorfer Kreuz und wurden dort möglicherweise durch Flakabwehr abgebrochen. Die Bomber schwenkten vom Hermsdorfer Kreuz weg - zahlreiche Treffer erfolgten zwischen Autobahn und Ort auf freien Feld - dann gab es die in der zweiten Skizze dargestellten Treffer. Der letzte Treffer schlug neben dem Raudenbach unterhalb des Rathauses ein.
Der Ausschnitt aus der Luftbildaufnahme unten, um den Bereich der Friedensschule zeigt dies deutlich.

17.10.1949 Das Volk     Bombentreffer in der Schule


Die Legenden zur Skizze wurden dem Artikel entnommen und erweitert:

01 - Wohnhaus Walter Herling, Produktionsstätte Kistenfabrikation zum Teil
02 - Volksschule Altes Schulgebäude (erbaut 1872)
03 - Dampfsägewerk E. Wötzel
04 - mehrere 4 Meter hoher Bretterstapel
05 - Späneschuppen Firma Wötzel, von hier aus breitet sich das Feuer in Richtung Schule aus, nach einer Stunde stand der gesamte Holzplatz in Flammen.
06 - Seitengebäude Hans Jahn
07 - Hans Otto Jahn, Geschäft für Zigarren und Schreibwaren
08 - Erich Herling, Wohnhaus und kleines Seitengebäude
09 - Sägewerk Gebrüder Kraft und Wohnhaus an der Schulstraße Otto Schilling Schulstraße 10
10 - Seitengebäude Otto Schilling Schulstraße 15
11 - Wohnhaus Füchsel und zum Teil Böttcherei Gräfe
12 - Wohnhaus Glaser Wetzel
13 - Café Rühling Neue Straße Cafe Rühling
14 - Wohnhaus Kurt Gräfe
15 - Fleischerei Peukert Cafe Rühling
16 - Wohnhaus und Laden Schlegel Cafe Rühling
17 - Wohnhaus und
18 - Tischlerei Karl Klaus
Cafe Rühling (hier sind die einzigen Bilder von Ruinen erhalten geblieben)

Luftbildaufnahme (Ausschnitt) vom 10.09.1949

Legende:

Die gelben Zahlen entsprechen denen der Aufstellung über dem Foto.
Rote Punkte = Bombentreffer im Gelände.
Roto Zahlen:
1a = Neue Schule (Mittelschulteil)
1b = Neue Schule (Volksschulteil)
1c = Waschküche
  2 = Alte Schule (Volksschule)
  3 = Rauchschwaden der noch brennenden Bretter
  4 = Alter Schuppen mit Mädchen- und Knabentoiltte
  5 = Turnhalle
  6 = Schlauchturm der Feuerwehr
  7 = Schornstein des abgebrannten Sägewerkes Wötzel


Die drei zuletztgenannten Anwesen, die dicht aneinander liegen, bildeten eine besondere Gefahrenquelle für Hermsdorf. Hier hatten sich viele Hilfskräfte eingefunden, und der Arbeitsdienst setzte sich hier tüchtig mit ein. Dazu kamen noch die Feuerwehren, die von auswärts herbeigerufen waren. Kaum jemand achtete während der Hilfeleistungen auf das ständige Brummen der immer wieder erneut auftauchenden Bombergeschwader, die in östlicher Richtung zogen. Auch die Jabos flogen unablässig, die Autobahnen nach allen Richtungen hin kontrollierend und die Ortsausgänge scharf beobachtend. Jede für sie verdächtige Bewegung wurde sofort unter Feuer genommen.
Bis in die Nacht hinein lag über den Brandstätten der mattrötliche Schimmer der noch glühenden Balken, und an den größeren Brandstätten hatten die Feuerwehren noch tüchtig zu löschen. Mit einbrechender Nacht mehrten sich die Luftwarnungen und die Einsatztruppe der örtlichen Luftschutzleitung versammelte sich in ihren Bereitschaftsräumen im Rathaus.
Die Löschtätigkeit an der alten Schule war noch vor Einbruch der Dunkelheit beendet worden, und doch sah man später in der Finsternis durch die zerbrochenen Scheiben an der Decke des einen Klassenraumes mattrot leuchtende Ringe sich bilden, die sich immer mehr vergrößerten. Die noch tätigen Feuerwehren waren noch an anderen Brandstellen beschäftigt. Gegen Mitternacht ertönte erneut Feueralarm: „Das alte Schulgebäude brennt wieder!" Die Stadtrodaer Feuerwehr hatte leider die Brandbekämpfung von der Treppe aus nicht vorgenommen. In einem auf dem Dachboden lagernden Haufen Kastanien, die von Schulkindern im vergangenen Herbst gesammelt und dort aufgeschichtet lagen, hatte sich die Glut während der Löscharbeiten am Nachmittag erhalten können. Das Feuer breitete sich von dieser Stelle weiter aus und fraß sich durch die Decke des obersten Stockwerkes hindurch.

Dienstag, 10.04.1945
Die Mitternacht ist vorüber. Immer noch sind die Einsatztrupps im Rathaus versammelt. Kontrollgänge werden durch den Ort unternommen! Von der Autobahn her hört man das Brummen der Militärwagen. Es muss dort ein sehr starker Verkehr herrschen, denn das Geräusch bricht nicht ab. Gegen 03:00 Uhr meldet der Feuerwehrführer der Geraer Feuerwehr, dass der Brand des Schulgebäudes endlich gelöscht ist. Anstelle des Schulgebäudes ist nur noch eine öde Ruine übriggeblieben. Das obere Stockwerk ist völlig ausgebrannt, und das Feuer hat seinen Weg sogar bis in einige Räume des Erdgeschosses gefunden. In den frühen Morgenstunden wird es endlich ruhiger, und die nächtlichen Bombengeschwader sind schon längst wieder zu ihren Stützpunkten zurückgekehrt. Auch die Einsatztrupps begeben sich wieder nach Hause.
Was hat die feindliche Flugstaffel veranlasst, gestern die Bomben auf Hermsdorf abzuwerfen, oder war doch ein besonderes Ziel gemeint? Um die gleiche Zeit, als gestern Hermsdorf seine Feuertaufe erhielt, war ein langer Zug Gefangener von der Naumburger Straße her in den Ort marschiert und die Ecke am Rathaus gerade erreicht worden. Im Augenblicke der drohenden Gefahr durch die angreifenden Bombenflieger löste sich der Zug auf, und alles eilte in die Häuser und Luftschutzkeller. Der Gefangenenzug setzte später seinen Weg in östlicher Richtung fort. Bei dieser Gelegenheit musste ein Einwohner die betrübliche Erfahrung machen, dass er, nachdem die Gefangenen den Ort verlassen hatten, seine Vorratskammer, an der er den Schlüssel in der Eile hatte stecken lassen, gänzlich geleert vorfand.
Schon seit frühen Morgenstunden jagten wieder die Jabos über Hermsdorf hinweg, um alle Bewegungen auf den Verkehrswegen zu kontrollieren. Sie mussten doch nach einem besonders wichtigen Objekt suchen. An der Eisenbahnbrücke der Naumburger Straße auf dem Felde von August Kraft war ein großes Langrohrgeschütz aufgestellt.
Wahrscheinlich wurde aber noch etwas Wichtigeres gesucht. Seit wenigen Tagen hatte ein schweres Eisenbahnluftabwehrgeschütz auf dem Abstellgleis in der Nähe der Hescho gut getarnt seinen Bereitschaftsplatz gefunden. Dieses Geschütz war in den letzten Nächten jenseits Jenas in Feuerstellung gefahren worden und hatte in die Kämpfe um Mittelthüringen mit eingegriffen und bis nach Weimar und Erfurt geschossen. In die nächste Nähe seiner Bereitschaftsstellung wurde heute eine Bombe auf das Gleis geworfen.
Der Schrecken des gestrigen Tages liegt noch den meisten Hermsdorfern in den Gliedern. Der Bombensegen war in überreichem Maße erfolgt; denn z. B. im Garten des Grundstückes Schulstr. 12 befinden sich die Bombentrichter in nur 2 m Entfernung voneinander.
Ganz deutlich kann man heute schon den Kanonendonner vernehmen und danach vermuten, dass die Kampffront westlich Jenas und in der Gegend von Apolda liegt.

Mittwoch, 11.04.1945
Es ist ein eigenartiges Gefühl, wenn man die Nacht hindurch die Wache der Luftschutzleitung des Ortes übernimmt und jeden Augenblick mit Fliegerwarnungen oder sogar mit dem Feindalarm rechnen muss. Das, was in den nächsten Tagen zu erwarten ist, macht einen unruhig. Die letzten OKW - Berichte sprachen sogar von einem schweren Luftgefecht am Hermsdorfer Kreuz. Schon der zeitige Morgen versetzte uns einen neuen Schrecken. Das Bahnhofsviertel war in Gefahr gekommen.
Die Jabos hatten ein lohnendes Ziel gefunden. Auf der Strecke zwischen Bahnhof und Hirschwiese war ein Munitionszug aus der Muna herausgezogen und auf diesem Abschnitt zusammengestellt worden. Der Zug war gerade zur Abfahrt Richtung Gera bereit. Ein Jabo hatte dieses Ziel entdeckt und warf auf den Zug Bomben ab. Lokomotivführer, Heizer, Zugführer und Stellwärter konnten sich unter Lebensgefahr noch in den Tunnel unter dem Bahndamme an der Hirschwiese flüchten.
Unter furchtbaren Detonationen explodierten die Munitionsladungen. Eisenteile der Waggons wurden kilometerweit weggeschleudert. Der Bahnkörper war aufgerissen. Schwere Seitenteile und Achsen der Waggons lagen unten am Bahndamm weithin verstreut. Der nahe Wald hatte einen großen Teil des ungeheuren Luftdruckes aufgehalten. Der Vorgang glich einem furchtbaren Erdbeben.
Gegen 14:00 Uhr unternahm nochmals ein Jabo einen Angriff auf das Bahnhofsgelände. Mit einem wohlgezielten Treffer wurde das Hauptgleis in der Nähe der Straßenbrücke, die nach Klosterlausnitz führt, gegenüber dem Stellwerk so getroffen, dass ein Gleisstück gegen eine Lokomotive geschleudert wurde und an dieser hoch aufgerichtet stehen blieb. Der Bahnbetrieb war damit endgültig stillgelegt. Man merkt jetzt deutlich, dass alle Ereignisse einem Höhepunkt zustreben. Der Kanonendonner ist jetzt deutlich zu vernehmen, und man hört ihn jetzt sogar aus nördlicher Richtung, sodass man den Gegner schon in der Richtung von Bürgel vermuten könnte.
Wieder geht durch Hermsdorf eine Welle der Erregung, eine beängstigende Kunde: „Der Volkssturm ist aufgerufen worden!" Abends nach 22:00 Uhr haben sich die Hermsdorfer Volkssturmmänner der 1. u. 2. Kompanie am Rathaus versammelt und warten auf weiteren Befehl. Auf allen Treppen sitzen sie, rauchend, unterhaltend oder schlafend. So vergehen in Unruhe einige Stunden. Die 3. Kompanie hat sich im Holzbauwerk Geißler eingefunden. Gegen 01:00 Uhr nachts wird hier bekannt, dass der Führer des Volkssturmes nirgends mehr aufzufinden ist. Die 3. Kompanie löst sich auf. Auch die 1. u. 2. Kompanie macht dasselbe, nachdem noch am Ausgang des Ortes an der Naumburger Straße etliche Bäume als „Panzersperren" umgelegt worden sind.
Alle gehen schnell nach Hause und können damit ihren mit banger Sorge erfüllten Angehörigen an diesem Tage keine größere Freude bereiten.

Donnerstag, 12.04.1945
Wir alle haben jetzt die Gewissheit, dass der Feind schon sehr nahe sein muss. Man hört jetzt den Kanonendonner und die Einschläge der Geschosse so deutlich, als würden sich die Gefechte am Weißen Berg abspielen. In Ungewissheit, Ungeduld und innerer Unruhe wird der Tag verbracht. Der himmlische Spuk ist beinahe wie verschwunden. Bombengeschwader vernimmt man seltener, nur Jabos jagen noch dann und wann über die Autobahn dahin. Aber sie haben kein Ziel mehr in der Nähe, das sich anzugreifen lohnt. Gegen Abend machen sich die letzten Arbeitsdienstmänner in ihrem Lager am Sportplatzweg zum Abmarsch bereit.
Die Sonne ist schon untergegangen und die Dämmerung beginnt sich auszubreiten. Da kommen auf einem Motorrad mit Beiwagen zwei deutsche Soldaten von der Rodaer Straße her in den Schleifreisener Weg gefahren. Beide wollen noch schnell das Gelände erkunden und feststellen, wie weit der Feind vorgedrungen ist. Nach einer Viertelstunde kommen sie von Schleifreisen zurück und berichten, dass die Bockmühle bereits besetzt sei. Ein späterer telefonischer Anruf zur Bockmühle konnte aber die Meldung der beiden Soldaten nicht bestätigen. Nun begann eine sehr unruhige Nacht. Auf der Autobahn war ein lebhafter Verkehr zu hören. Wahrscheinlich waren es unsere letzten Soldaten, die in dieser Nacht sich vom Feinde lösten und ihre Stellungen weiter ostwärts verlegten.
Die innere Spannung und Ungewissheit über die nächsten Stunden ließ einen nicht zu einer ausgiebigen Nachtruhe kommen. Stundenlang lag man wach, lauschte auf alle nächtlichen Geräusche. Noch einmal erschien in der zweiten Nachthälfte ein schweres Kraftfahrzeug, fuhr in Richtung Schleifreisen und kam auch bald wieder zurück. Wahrscheinlich hatte es noch einige nächtliche Patrouillen abgeholt. Dann wurde es auf der Autobahn still. Eine solche beängstigende Ruhe hat es seit Langem nicht gegeben (wenn man auch abwechselnd wachte, so fand man jetzt doch einen erquickenden Schlaf).

Freitag, 13.04.1945
Die Besetzung Hermsdorfs durch die Amerikaner
Gleich nach 06:00 Uhr eilte ich mit dem Rade zum Rathaus, um dort etwas über die augenblickliche Lage zu erfahren. Die nächtliche Telefonwache war im Begriff nach Hause zu gehen. Gegen Morgen war mitgeteilt worden, dass in der Umgebung schon Feindberührung vorhanden wäre. Der „Feindalarm" konnte aber infolge Strommangels nicht durch die Sirene bekannt gegeben werden. Die Volkssturmleute hatten inzwischen noch schnell im Rathaus ihre letzten Waffen abgeliefert. In der Nacht war noch der letzte Trupp Arbeitsdienst abgerückt.
Schon gestern, noch spät abends, sind die Amis durch den Zeitzgrund gegen Hermsdorf vorgedrungen und haben sich in Riechhain eingenistet. Zwei Amerikaner haben heute früh das Gelände bis zu den Häusern des Felsenkellerweges erkundet und hier mit einem hiesigen Einwohner gesprochen.
Die Straßen waren wie ausgestorben. Erst etwas später beeilten sich die Frauen, schnell noch die nötigsten Einkäufe zu machen. Von der Autobahn her aus der Richtung von Jena hörte man jetzt deutlich Motorengeräusch und das Rasseln schwerer Panzer.
Auch meine Frau war noch unterwegs und hatte einen Teil ihrer Einkäufe erledigt, als unerwartet gegen 09:00 Uhr ein merkwürdiges Sausen und Pfeifen über die Häuser hinweg zu vernehmen war. Noch stand meine Frau für einen Augenblick unschlüssig, ob sie noch vom Bäcker Brot holen könnte, an der Hausecke von Martins in der Rodaer Straße. Das Heulen in der Luft wurde ihr aber unheimlich, deshalb eilte sie sofort nach Hause zu den Kindern. Nur wenige Augenblicke später wurde gerade diese Hausecke, an der sie zuvor gestanden hatte, von einer amerikanischen Granate getroffen. Kaum hatten wir alle wieder den Schutzraum im Keller aufgesucht, als auch schon ein Zischen, ein harter Aufschlag und Explodieren erfolgte. Fensterscheiben klirrten und Scherben fielen. Noch einige Sekunden, und eine zweite Granate schlug dicht hinter dem Hinterhaus des Ziegeleigrundstückes in das Feld. Abwarten! Noch einige Male hörte man es in der Luft rauschen, dann wurde es still. Nach etwa einer Viertelstunde überprüfte ich unsere Wohnräume. Eine Granate war vor dem Wohnhaus in den Gartenweg des Vorgartens eingeschlagen und hatte dabei einen eisernen Zaunpfeiler verbeult. Die sämtlichen Scheiben der geschlossenen Fenster waren zertrümmert. Die zweite Granate hinter dem Hinterhaus hatte nur an der fensterlosen Rückwand Spuren von umherfliegenden Granatsplittern hinterlassen. Der Panzer, von dem wir beschossen wurden, hatte in nächster Nähe der Brücke des Hermsdorfer Kreuzes gestanden. Die Amerikaner haben etliche Granaten in unseren Ort abgeschossen. Granattreffer gab es bei: Albin Kraft, Alter Markt, im Loch, Schulstraße (Präßler). Auch von der Autobahn Richtung Berlin erfolgte der Beschuss. Die Granaten schlugen zum Teil in freies Gelände, z. B. in die Nähe des Rathauses, in das HESCHO - Gelände, in die untere Bahnhofstraße. In der Schillerstraße wurde ein Haus getroffen und dabei auch eine Person schwer verletzt. Das also war der Willkommensgruß der Amerikaner an uns!
Einige Beherzte beeilten sich, erkletterten den Ziegeleischornstein und brachten in halber Höhe Betttücher als weiße Fahnen an. Auch am HESCHO - Schornstein sah man eine solche wehen. Eine Abordnung ging den Amerikanern zur Begrüßung entgegen und überreichten ihnen Blumen. Die Kinder wurden mit Schokolade beschenkt. Ein amerikanisches Kommando erschien gegen Mittag vor dem Rathaus und verhandelte mit dem stellvertretenden Bürgermeister (Bürgermeister war Kurt Weise - 1943 zur Wehrmacht eingezogen, er war am 21.03.1945 im Lazarett verstorben, Stellvertreter und 1. Beigeordneter war Artur Schöppe). Das Erscheinen der Amerikaner löste bei den Fremdarbeitern, die im Ostlager und Ziegeleilager untergebracht waren, unbeschreiblichen Jubel aus. In ihrer überschwänglichen Freude, endlich von ihrem Sklavenjoch befreit zu sein, versuchten sie ihre bisherigen, stark eingeschränkten Lebensbedürfnisse zu verbessern. Mit Handwagen und allen anderen möglichen und unmöglichen Fahrzeugen versehen, zogen sie in großen Trupps zu den Lagern, die bisher noch vom Arbeitsdienst oder von Soldaten besetzt waren. Das Arbeitsdienstlager und die große Raststätte waren das Ziel der darauf einstürmenden Menschen. Alles, was an Nahrungsmitteln sich vorfand, wurde aufgeladen und in die Wohnbaracken zurückgebracht. Mit besonderes wilder Gier stürzte man sich auf die Weinvorräte und alle anderen alkoholischen Getränke. Gleich an Ort und Stelle wurde der Durst in überreichem Maße gelöscht und manche kostbaren Tropfen in diesem Toben unnütz vergossen. Ja, es kam sogar zu wüsten Raufereien. Was nicht mitgenommen werden konnte, wurde sinnlos vernichtet. Singend und johlend, manche kaum fähig zum Stehen, zogen die beutebeladenen Gruppen mit ihrer, von der Last zusammenbrechenden Karren und Wagen in ihre Baracken zurück. Am Nachmittag feierten sie alle unter starkem Alkoholgenuss und bei umfangreichem Gelage ihr Befreiungsfest.
Im Arbeitsdienstlager hatte man es vor allem auf Kleidungsstücke und Wäsche abgesehen, das Lager wurde völlig ausgeplündert.

Um 14:30 Uhr erfolgte der Einmarsch der Amerikaner in Hermsdorf. Sie kamen mit zwei Jeeps und einem Panzer. Wilhelm Odenthal (später erster Wirt des Rasthofes) war den Amerikanern mit einer weißen Fahne entgegen gelaufen, um weiteres Unheil zu verhindern.

Der Hermsdorfer Bevölkerung wurden die Anordnungen des amerikanischen Kommandos sehr bald bekannt gegeben und die Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Der Aufenthalt im Freien war den Einwohnern nur von 08:00 - 18:00 Uhr erlaubt. Alle mussten sich beeilen zur rechten Zeit wieder zu Hause zu sein; denn amerikanische Streifen kontrollieren den Ort. Ungeachtet dessen zogen aber die Fremdarbeiter aus beiden Lagern noch spät abends bis zur Mitternacht singend umher und erfreuen sich ihrer neuen Lebensverhältnisse. Wenn uns auch die Freiheitseinschränkungen behindern, so sind wir doch jetzt froh, dass die aufregenden Tage vor der Besetzung überstanden wurden und uns endlich wieder ruhige Nächte beschieden sind. Aber es bleibt doch die bange Frage: Was ist aus unseren fernen Angehörigen geworden und was wird weiterhin mit uns geschehen?