Von den Vorfahren des Schirrmachers Georg Schilling Hermsdorf

Wilhelm Bauer 1942

Drüben auf dem Berg, dort wo die Waldgasse von der Bergstraße abzweigt, wohnt in einem schmucken Fachwerkhaus der Schirrmacher Georg Schilling. Da Stücke vom Fachwerk des Unterstockes anfingen zu faulen, sah sich der Besitzer genötigt, Wände aus Backziegeln einziehen zu lassen. Geblieben aber in seiner ursprünglichen Schönheit und Gemütlichkeit ist die geräumige Wohnstube. Wände und Stubendecke sind mit starken Brettern, mit Bohlen bekleidet. Die Decke wird getragen von einem schweren leicht verzierten Balken. Den schönsten Tragbalken in Hermsdorf besitzt die Gaststube „Zum Schwarzen Bär“. In die Augen fallen die in den Kopfbalken der Stubentür eingehauenen Buchstaben, Zeichen und Zahlen. Wir lesen:

Holzbalken

Wir versuchen diese zu deuten:

  • B H heißt Bauherr. Nach dem Kirchenbuch konnte der Bauherr leicht gefunden werden, sein Name war Johann Christoph Schilling.
  • Z M bedeutet Zimmermeister. In alten Zeiten bauten nicht Mauermeister, sondern Zimmerer aus Holz die Häuser. Leider konnte aus dem: Kirchenbuch unser Meister nicht ermittelt werden, vermutlich war er ein auswärtiger, vielleicht aus Klosterlausnitz oder Tautenhain, denn um diese Zeit stand in diesen beiden Orten die Zimmerei in hoher Blüte.
  • Das lateinische Wort Anno bedeutet „im Jahr“ Also im Jahr 1816, nach der furchtbaren und schweren Franzosenzeit, ist unser Haus gebaut worden.
  • Das Herz mit dem Baum sagt uns das Bauherr und Zimmermeister eines Sinnes waren und mit Lust und Liebe das Haus gebaut haben.

Gegenüber dem Wohnhaus liegt die Werkstatt unseres Handwerkers. Aus hartem Holz, meistens wird Buche verwendet, verfertigt er allerlei Karren, wie Schub-, Stein- und Mistkarren, Radewellen, Kinderschlitten und Kummethölzer. Die Radeweilen werden hier Radebergen genannt - „bergen“ ist ein altdeutsches Wort und bedeutet tragen. Somit könnte man für unser Gerät Radtrage sagen. Früher entnahm man das Buchenholz den heimischen Wäldern. Seitdem aber die Buchenbestände sehr zurück gegangen sind, wird das Holz aus dem Tautendorfer Forst und sogar vom Kyffhäusergebirge bezogen. Schon seit 200 Jahren sind die Vorfahren des Georg Schilling Schirrmacher gewesen. Pfarrer Gleitsmann [1] bezeichnet Nikol Schilling 1741 als einen Schubkarrenmacher.
Es ist wohl zu verstehen, dass die Geschicklichkeit, aus Holz allerlei Holzwaren herzustellen, eine Erbanlage der hiesigen Bewohner ist. In alter Zeit waren besonders die Schubkarren eine vielgesuchte Ware. Kleinhändler beluden ihren Schubkarren mit allerlei Ware und brachten diese bis nach Altenburg, Naumburg, Leipzig und Halle. Beladen mit Getreide kehrten sie wieder zurück. Einige verkauften ihren Karren und traten mit dem Tragseil und einer Tasche voll Geld den Heimweg an.

Versuchen wir nun den Familiennamen Schilling zu deuten.

Im ältesten Kirchenbuch steht Schellingk geschrieben. Die Schelle ist eine kleine Glocke oder eine Klingel. Die Silbe „ling“ könnte man mit klein bezeichnen. Schelling heißt also Kleine Glocke. Die Klingenden Münzen in England und früher in Österreich benannte man Schillinge. Das „e“ in Schelling hat sich in ein „i“ umgewandelt. Unsere Mundart liebt dergleichen Verschiebungen. Für Schnee sagt man hier Schnie und für Klee Klie.

Nun wollen wir die Vorfahren des Georg Schilling kennen lernen:

  • Der älteste Schilling ist im Totenregister aufgezeichnet. Er war vermutlich Tagelöhner oder Hausdiener im großen Gasthaus „Zum Schwarzen Bär“ zu Hermsdorf. In unseren Wäldern gab es noch viele Hirsche, Wildschweine, Wölfe und einzelne Bären. Des Nachts trat das Wild aus dem Wald und fraß die Saat ab.
    Den Bauern war es strengstens verboten, einen Wildzaun aufzurichten. So versuchte man durch Schreien und Klappern die Tiere zu verscheuchen. Nun verstehen wir die Eintragung im Kirchenbuch: Am Ostermontag 1583 in der Nacht ist Nickel Schellingk der Alte im Felde in einer Hütte, darinnen er dem Hirten sein Ge­treide, des Wildes Umlaufen und Schadens halber, gehütet, erschlagen worden und gestorben. Wir wissen nicht, ob er bei einem Frühgewitter oder durch einen ruchlosen Menschen erschlagen worden ist. Es ist fast anzunehmen, dass er aus Serba stammte. Nach einem alten Steuerregister wohnte 1537 ein Hans Schellingk in Serba.
  • Die beiden Söhne des Nickol hießen Jost und Nickel. Von Jost wird uns nichts berichtet. Das Weib des Nickel starb 1611 vermutlich an der Pest. [2] 17 Tote trug man dieses Jahr auf den kleinen Friedhof neben der Kirche. Die Gemeinde war gezwungen, einen neuen Friedhof draußen am Oberndorfer Fußweg [3] anzulegen. Nickol verstarb während der Zeit des 30jährigen Krieges [4] am 05.05.1636.
  • Der Sohn des vorigen hieß Hans Schilling (I)
    1597 war er gebo­ren und starb am 14.01.1670. Die furchtbare Zeit des 30jährigen Krieges hat er durchlebt. Pest, Schwarze Blattern, Hunger sind gnädig an ihm vorüber gegangen. Die Witwe Anna trug man am 16.03.1673 zu Grabe.
  • Es folgte Hans Schilling (ll)
    Er wurde 1627 geboren. 1650 verheiratete er sich mit Margarete Wetzel. Er besaß ein eigenes Haus an der Straße. Sein Vater und er erhielten als Häusler das Recht von der Gemeinde, je eine Kuh vom Gemeindehirten mit austreiben zu lassen. Hans Schilling war von Beruf Böttcher. Er stand in hohen Ehren bei der Behörde. Das Amt ernannte ihn zu einem Geleitmann, Schulzen und Zehntmeister. Als Geleitmann nahm er für die Waren von den vorüberfahrenden Fuhrleuten Zoll ein. Dieses Geld lieferte er ins Amt und erhielt für seine Arbeit eine Entschädigung. Er starb am 22.12.1673.
  • Hans Schilling (lll)
    1650 ist sein Geburtsjahr. 1674 verheiratete er sich mit Marie Vogel, Tochter des Hans Vogel „Pfeifhans“.
  • Schilling, Nicolaus
    Sein Geburtstag ist 21.06.1677. Er feierte 1704 Hochzeit mit Susanna Rüdel, Tochter des Zimmermeisters und Kirchenvorstehers Kaspar Rüdel.
    1720 hat Pfarrer Oertel [5] sämtliche Bewohner des Orts aufgeschrieben. Dort lesen wir:
    Nr. 77 Nicol Schilling. Weib Susanna. Kinder: Hans Adam, Hans Gottfried, Hans Daniel, Anna Roaina, Hausgenossin Anna Sybilla Haase.
    Wie schon erwähnt wird er vom Pfarrer Gleitsmann als ein Häusler und Schubkarrenmacher bezeichnet. Möglich, dass schon sein Vater dieses Handwerk ausgeführt hat.
    Frau Susanna starb am 30.07.1741 und er 21.11.1747.
  • Der jüngste Sohn Johann Daniel wurde Erbe des Hauses. Am 12.02.1711 wurde er geboren und am 02.05.1735 getraut mit Eva Maria Böttcher, älteste Tochter Des Meisters, Huf- und Waffenschmied Andreas Böttcher. Johann Daniel war wie sein Vater ein Schirrmacher. Er hat die schweren Zeiten des 7jähriger Krieges [6] durchlebt. Im letzten Kriegsjahre 1762/63 hatte er sechsmal Einquartierungen.
    Er starb noch jung am 15.03.1765. Die Witwe überlebte ihn viele Jahre, sie starb 81jährig am 07.12.1796.
  • Schilling, Johann Christoph (l)
    Sein Geburtstag ist der 24.09.1747. Seine Trauurkunde lautet: Schilling Johann Christoph, Einwohner und Schirrmacher, 3.Sohn des Daniel Schilling, Nachbar und Schirrmacher und Wötzel, Anna Rosina, einzige Tochter des Heinrich Wötzel, Nachbar und Einwohner in Hermsdorf, sind getraut am 18.11.1882. Beide Väter des Brautpaares waren verstorben. Nach dem 7jährigen Krieg hatten wir in Deutschland große Hungersnöte. 1772 verstarben in Hermsdorf 110 Menschen. Schwere Seuchen rafften die Menschen dahin. Möglich, dass die beiden Männer Opfer der Nachkriegszeit waren.
    Am 24.04.1793 starb Anna Rosina, 34jährig, nach einer harten Geburt.
  • Johann Christoph Schilling (II)
    Er wurde geboren am 02.04.1785. Er war das erste Mal verheiratet mit Johanna Rosina Taubert aus Reichenbach. Ihr Geburtstag war der 23.02.1795 vermutlich erfolgte die Trauung 1816 nach Einweihung des neuen Hauses. Nur wenige Jahre konnte sie sich im neuen Hause erfreuen. Wir lesen eine zweite Trauurkunde: Schilling, Johann Christoph, Witwer, Sohn des Johann Christoph Schilling und Opel, Frau Maria Christiane geborene Taubert, nachgelassene Witwe des Gottfrieds Opel zu Reichenbach am 09.01.1826 zu Hermsdorf getraut.
  • Karl August Schilling, Nachbar und Geschirrmacher, geboren am 25.07.1834 zu Hermsdorf. Im Januar 1873 wurde er zu Eineborn getraut mit Ernestine Wilhelmine geborene Hempel aus Eineborn. Ihr Geburtstag war der 21.01.1840 und ihr Sterbetag der 20.01.1915. Karl August Schilling starb am 13.05.1916.
  • Friedrich August Louis Schilling war Schirrmacher. Am 05.09.1878 wurde er geboren. Am 11.02.1900 fand die Trauung statt mit Anna Minna Lina geborene Schröter. Ihr Geburtstag war der 15.11.1878. Friedrich August Louis Schilling war Soldat im Weltkrieg. Bei Verdun wurde er durch Gehirnsteckschuss schwer verwundet. Sieben Tage lang ertrug er bei vollem Bewusstsein sein schweres Geschick. Er starb am 05.04.1916. Auf dem Friedhofe des Dorfes Violones fand er seine letzte Ruhestätte. In der schönen Wohnstube hängt das Bild seiner Grabstätte. Die Witwe starb am 03.09.1942.
  • Max Georg Schilling, ein Schirrmacher, wurde am 24.04.1903 geboren.

[1] Gleitsmann, M. Johann Gottfried * 1693 Schmölln * 23.4.1758 Hermsdorf Pfarrer 1725 Dienstädt und 1731 - 1758 Hermsdorf
[2] Pest wütete in Hermsdorf um 1611 und nochmals um 1720.
[3] Der Begräbnisplatz der Gemeinde Hermsdorf lag ursprünglich an der St. Salvator Kirche und war von Anfang an in kirchlicher Verwaltung. Aber bereits gegen 1610 ist ein Ausweichareal angelegt worden, ohne jedoch den alten Platz zu entwidmen. Im Jahre 1611 bezeichnet Pfarrer Sturm den Friedhof an der Geraer Straße als den „neuen Friedhof“; aber als am 20.05.1720 Frau Maria Brendel, geb. Plötner, stirbt, wird sie „auf dem Kirchhof im Dorfe, nicht weit von dem Grabe der Frau Pfarrer Rochser“ beigesetzt, weil man sich „wegen großen Wassers im Raudenbach“ nicht getraute, die Leiche über die Gottesackerbrücke nach dem Friedhof zu bringen. Das Grab der Frau Maria Brendel sei aber bis zur Hälfte voll Wasser gewesen, was schaurig anzusehen war. Es scheint also nicht nur Platznot der Anlass zur Verlagerung des Friedhofs gewesen zu sein. Im Bereich der Schulstraße haben Hausbesitzer auch heute noch Probleme mit Feuchtigkeit im Untergrund. – Wasserundurchlässige Schichten führten in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts wieder dazu, dass auch auf dem neuen Friedhof ein gewisser Bereich für Erdbestattungen gesperrt werden musste. – Erst in Verbindung mit dem Kirchenneubau gab man den Begräbnisplatz an der Kirche auf.
Der Friedhof an der Geraer Straße wurde im Laufe der etwa 400 Jahre seines Bestehens mehrfach erweitert. Das geschah zuletzt im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, um Platz für Erbbegräbnisstätten und für eine Friedhofskapelle zu schaffen. Gern gaben die Hermsdorfer Landwirte nach dem 1. Weltkrieg das Feld in der Nähe des Dorfes dafür nicht her, und schon gar nicht gegen Inflationsgeld. Nach langen Verhandlungen mit den Anliegern wurde das Erweiterungsgelände für den Friedhof zumeist durch Austausch gegen andere Flächen des Kircheneigentums erworben. Pläne für die Neugestaltung waren durch den Friedhofsarchitekten Leberecht Migge aus Hamburg bereits 1918 erstellt worden, aber die politische Gemeinde hatte die Absicht, Hermsdorf zum Kurort zu entwickeln und baute deshalb den Pferdeteich zum Freibad aus. Dazu passte die Friedhofserweiterung nicht. So dauerte es bis 1929 ehe alle Hindernisse beseitigt waren und die Pläne verwirklicht werden konnten. Durch die Anordnung des Urnenhains in der Nordostecke berücksichtigte man Forderungen, die sich aus der Nähe des neu errichteten Freibades ergaben. Am 13.08.1938 wurde dann schließlich der Grundstein für die Friedhofskapelle mit Leichenhalle gelegt, die nach einem Entwurf von Architekt Dr. Martin Weber aus Gera gebaut und 1939 eingeweiht wurde. Der Architekt hatte auch die Bauleitung. Bei der Neugestaltung des Friedhofs und dem Bau der Kapelle wurden fast nur einheimische Handwerker und Firmen beschäftigt.
[4] Der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648 war ein Konflikt um die Hegemonie im Heiligen Römischen Reich und in Europa, der als Religionskrieg begann und als Territorialkrieg endete
[5] Örtel, Elias * 20.10.1677 Eisenberg  † 19.11.1730 Hermsdorf Pfarrer 1706 Graitschen / Bürgel und 1719 - 19.11.1730 Hermsdorf
[6] Im Siebenjährigen Krieg von 1756 bis 1763 kämpften mit Preußen und Großbritannien/Kurhannover auf der einen und der kaiserlichen österreichischen Habsburgermonarchie, Frankreich und Russland sowie dem Heiligen Römischen Reich auf der anderen Seite alle europäischen Großmächte jener Zeit. Auch mittlere und kleine Staaten waren an den Auseinandersetzungen beteiligt.
 
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