Helmut Beckmann - Vorsitzender Kleingartenverein, Leiter Betriebsberufsschule
*  26.05.1910 Gera
† 09.02.1993 Hermsdorf
 
Nach einem Bericht über seinen Vater von Hartmut Beckmann, notiert anlässlich des 70-jährigen Jubiläums der Hermsdorfer Kleingartensparte „Schillerstraße", deren Vorsitzender Helmut Beckmann in der Zeit von 1946 / 49 war und dem 750-jährigen Jubiläum von Hermsdorf. Helmut Beckmann
 
 

Im Sommer des laufenden Jahres werde ich siebenundsechzig. Was ich beisteuern kann, liegt sechzig Jahre zurück. Mit Zahlen und Belegen aus dieser Zeit kann ich leider nicht dienen. Nur die Erinnerungen an die Ereignisse, wie ich sie als Siebenjähriger erlebte und empfand sind noch da.

Zunächst ein paar Bemerkungen zu meinem Vater, dessen Anteil am Schrebergarten, Ursache wurde für meinen bescheidenen Beitrag:

Helmut Beckmann wuchs als Drittes von fünf Kindern auf. Sein Vater war als Prokurist und Technischer Direktor materiell in der Lage, ihm ein Ingenieurstudium am Technikum llmenau zu ermöglichen (1933/36). Danach arbeitete mein Vater in der Werkzeugfabrik „Wesselmann-Bohrer-Co. AG" in Gera-Zwötzen.
Im Mai 1937 heirateten meine Eltern und wohnten im Haus meiner Großeltern. Meine Mutter verdiente als Verkäuferin mehr Geld als ihr Mann. Trotzdem musste sie ihre Arbeit aufgeben und als Hausfrau leben, weil es als anrüchig galt, wenn die Frau eines Ingenieurs arbeiten ging. Damit gewannen die Schwiegereltern eine kostenlose Magd für Haus und Garten.
Wenige Wochen nach meiner Geburt (08.06.1939) musste mein Vater in den Krieg ziehen, kam nach Frankreich, Rumänien und in die Sowjetunion. 1945 hatte er Glück im Unglück und geriet in englische Gefangenschaft. Nach kurzer Zeit wurden die Gefangenen mit Wohnsitz in der Bizone entlassen. So gelangte mein Vater nach Wirsberg in Oberfranken, den Wohnort des Zwillingsbruders meiner Mutter.

Im April 1944 war meine ausgebombte Mutter mit mir nach Hermsdorf umgezogen, ins Haus von Kurt und Anna Loßmann, in der Naumburger Straße. Hier erlebten wir das Kriegsende, den Einzug der Amerikaner und danach der Roten Armee. Meine damals dreißigjährige Mutter wollte die Trennung vom Ehemann verständlicherweise so bald wie möglich beenden. Sie überquerte zu Fuß heimlich die Grenze nach Bayern und konnte meinen Vater zur Rückkehr in die Heimat bewegen, trotz der Anwesenheit der russischen Besatzungsmacht. Entgegen aller Ängste durfte mein Vater bei uns bleiben und bekam sogar Arbeit in Hermsdorf. Zunächst arbeitete er als Konstrukteur bei der Firma Herbert Patzer, die nahe der Kirchenholz-Siedlung Röntgenapparate baute.

1948 wechselte er zur „HESCHO", die späteren Keramischen Werke. Hier war er zuerst in der Abteilung Technisches Porzellan tätig (Kollege u. a. Herr Kleinschmidt). 1951 übertrug man ihm die Leitung der Lehrausbildung im VEB KWH (Kollegen waren u. a. die Ausbilder Willi Rosenkranz, Karl Drechsel, Alfred Hoffmann, Berufsschuldirektor Gäbelein, Berufsschullehrer Heinzel).

Weitere Stationen bildeten u. a. das Versuchsfeld, der Bereich Steatite und zuletzt bis zur Rente 1975 die Erwachsenenqualifizierung. Mein Vater nahm seine Arbeit sehr ernst, war gewissenhaft und lebte seine durch die Kriegserfahrungen gewonnene politische Überzeugung voller Menschlichkeit und Toleranz. Bei seinen Kollegen und besonders bei den kleinen Leuten war er deshalb sehr beliebt. Nie gehörte er zu der Clique, die das Parteibuch nur für persönliche Vorteile nutzte. Doch diese Menschen hatten auch in den Keramischen Werken Hermsdorf das Sagen und bürdeten meinem Vater so viel auf, dass er 1956/57 reif war für die „Klapsmühle"! Fünf Jahre lang war er gleichzeitig Betriebsleiter und Parteisekretär gewesen. Als letzterer musste er anfangs der 50-er Jahre auch bei den Bauern für deren Eintritt in die LPG agitieren, was er nur widerwillig tat. Viel lieber half er ihnen zusammen mit seinen Kollegen bei der Kartoffelernte.

Doch kehren wir zurück zu den schweren Jahren 1946/49 und kommen zum eigentlichen Thema „Schrebergarten":
Bei „Röntgen-Patzer“ bekam mein Vater 250 Mark im Monat. Das war wenig, angesichts der etwa 20 Mark, die damals ein Kilogramm Butter (ohne Lebensmittelkarten) kostete, wenn man es denn überhaupt auftreiben konnte. So bestand das Dasein meiner Eltern im Wesentlichen aus dem täglichen Kampf ums Überleben: Holz, Pilze, Heidelbeeren sammeln, Stöcke roden, Kartoffeln und Zuckerrüben stoppeln, Ähren lesen, Milch und Mohn betteln, tauschen. So sah damals die „Freizeit" aus!

Familie Beckmann
von links: Frau Beckmann - Hartmut Beckmann - Helmut Beckmann

Da kam ein Garten gerade recht. Die ehemalige Müllkippe unterhalb vom „Gurken - Opel“, wo Uhlandstraße und Goethestraße zusammentreffen, werde parzelliert und meinen Eltern teilte man das oberste Eckstück zu. Nun begann die mühsame Arbeit des Kultivierens, denn das Gelände bestand nur zu geringen Teilen aus Erde. Zahllose Handwagen beladen mit Steinen Glas und Schrott fuhren wir zur neuen Müllkippe, den „Schuttabladeplatz", wie man damals sagte. Die ausgegrabenen Wurzeln trockneten wir, das gab wertvolles Brennmaterial.

Die fehlende Muttererde gewannen wir beim Roden der „Stöcke" genannten Wurzelstubben. Nach dem Abtransport der frisch gefällten Fichten- oder Kiefernstämme bekam man vom Förster ca. zehn bis fünfzehn Stöcke zugeteilt, die per Schlagstempel mit einer Zahl markiert waren. Die flach wurzelnden Fichten waren sehr beliebt, die Kiefern wegen ihrer tiefen Pfahlwurzel weitaus weniger. Nachdem man die Stubben in schwerer Handarbeit aus dem Boden gewühlt und grob zerteilt hatte, musste man die Gruben verfüllen. Womit das war, nicht genau vorgeschrieben. Also wurde der Handwagen, hergestellt von der Firma Geißler (den späteren Holzbauwerken), bis zum Rand mit der beim Roden weggekratzten Walderde gefüllt und die Holzstücke legten wir oben drauf. In das Loch kamen Reisig, Farnkraut, Steine, zuletzt Sand und ein wenig Walderde. Die Wagenfuhre wurde aus dem Wald in den Garten gezogen. Hier kompostierten wir die Walderde und stapelten das Holz zum Trocknen.
Um diese wertvollen Güter zu sichern, bauten wir einen Zaun um das Eckgrundstück. Die Pfahle und Riegel konnten meine Eltern vom Sägewerk Acker (neben der Eisenbahnbrücke) kaufen, als Latten versahen so genannte „Säumlinge" ihren Dienst, die wir für wenig Geld von einem kleinen Sägewerk oberhalb der Wielandstraße holen durften.
Nun fehlte dem Boden noch Dünger. Da half uns ein älteres Ehepaar namens Burgold. Die netten Leute wohnten in dem Mehrfamilienhaus der Uhlandstraße, unserem Garten schräg gegenüber. Sie liehen uns ihr Jauchenfass und mein Vater durfte sich auch aus ihrer Jauchengrube bedienen. Mit der Walderde vermischt ergab das eine gute Grundlage für die Pflanzen, die uns am Leben erhalten sollten.
Interessant ist die (damals sehr häufige) Art der Gartenaufteilung: Auf der einen Hälfte hatten wir Kartoffeln gelegt. Ein Viertel des Gartens diente dem Tabakanbau (obwohl mein Vater sehr selten rauchte)! Der Rest wurde mit Bohnen, Zwiebeln, Kraut, Mangold, Möhren, Radieschen bestellt. Und in der äußersten Ecke richtete mir mein guter Vater sogar einen kleinen Sandkasten ein. Ich musste ja beschäftigt werden und hätte im Garten sicher nicht viel Nutzen gebracht.
Natürlich brauchte das Gemüse auch Wasser. Es regnete damals auch nicht mehr als heute. Wir holten das kostbare Nass eimerweise aus einem offenen Eisenbottich mit für meine Kinderaugen gewaltigem Durchmesser, der weit unten in der Senke stand und von großen Bäumen beschattet war. Später befand sich ganz in seiner Nähe die Motorradwerkstatt von Heinz Vogel, bei dem ich auch meine, MZ" reparieren ließ. Der Behälter selbst wurde durch eine Wasserleitung gespeist. Der Weg, die Verlängerung der Goethestraße, schien mir weit, vor allem mit der gefüllten 5-Liter-Kanne.
Manchmal musste ich auf dem Hinweg noch Schuhe mitnehmen, um sie bei „Geisenhainers Fritze“ besohlen zulassen. Der wohnte mit Frau, Hund und Katzen im Erdgeschoss eines der mehrstöckigen Häuser der Wielandstraße. Seine Schusterwerkstatt hatte er in einen kleinen Eisenbahnwaggon eingerichtet. Drinnen bullerte in der kalten Jahreszeit ein Kanonenofen, sodass ich mich im Winter gern eine Weile bei „Fritze“ aufhielt, um mich für den langen Rückweg bis zur Naumburger Straße aufzuwärmen.
Der Weg nach Hause führte damals noch durch Wald, nachdem man Acker Sägewerk und Hegemanns Villa und Dachpappenfabrik passiert hatte. Und immer hatten wir, wenn wir abends vom Garten heimliefen, den Handwagen zu ziehen. Obwohl mein Vati sicher sehr müde war nach Fabrik-, Wald- und Gartenarbeit, erzählte er mir auf dem langen Weg selbst erfundene Geschichten von Indianern oder spannende Märchen. Diese Zeit war trotz aller Entbehrungen der schönste Abschnitt meiner Kindheit.

Im Sommer 1949 zogen wir nach Bad Klosterlausnitz, in die „Villa Ruth", die in der Ernst-Agnes-Straße 34 stand, der späteren Hermann-Sachse-Straße. Zum Haus gehörten gut 1200 m2 Gartenland mit Obstbäumen. Beides durften wir nutzen. Wir hielten Kaninchen und Hühner. Meine Mutter betreute über etliche Jahre die Kurgäste und hatte keine Zeit mehr für den ohnehin viel zu weit entfernten Garten an der Uhlandstraße. Mein Vater war beruflich sehr eingespannt. So gaben meine Eltern den Hermsdorfer Garten auf.

Mitte der 1950-er Jahre bauten Familie Beckmann mit der AWG in der Wildungsstraße. Am Weihnachtsabend 1956 zog die Familie dort ein. Dort wohnte Familie Beckmann bis1987. Weil sie die Arbeit dort nicht mehr schafften und aus gesundheitlichen Problemen zog das Ehepaar Beckmann in das Punkthochhaus in der Rudol-Breitscheid-Str. 25 und lebten dort bis zu ihrem Tod.