Auch
Straßen haben ihre Geschichte, die für
die Allgemeinheit oft im Verborgenen liegt. So auch die Hermsdorfer Uhlandstraße,
deren Name nichts von ihrer eigenen Historie preisgibt.
Es war 1906, exakt
vor 100 Jahren, als im sächsischen Freiberg
eine Porzellanfabrik die Produktion von Elektroporzellan aufnahm. Sie
war von der Hermsdorfer Filiale der Kahla AG projektiert, gebaut und
ausgerüstet worden. Denn bereits 1904 war infolge rapider Nachfrage
nach Elektroporzellan die Erweiterung der Hermsdorfer Fabrik so weit
fortgeschritten, dass man damals nicht mehr mit einer unbedingten Erweiterungsfähigkeit
auf lange Sicht rechnen durfte, „... sollten nicht die Bevölkerungs-
und Lebensverhältnisse der durchaus ländlichen Gegend eine
völlige Verschiebung erfahren. Man war demzufolge für die Neuanlagen
der Zukunft vor die Wahl eines anderen Ortes gestellt, und die Entscheidung
fiel auf die Stadt Freiberg (Sachsen)...“
Ab 1922 waren dann
beide Porzellanfabriken zusammen mit der Margarethenhütte
und weiteren Fabriken unter dem Dach der HESCHO vereint. In Freiberg
wurde 1921 mit einem in jeder Hinsicht mustergültigen Siedlungsbau
für Werksangehörige in der Frauensteiner Straße und im
Bertholdsweg begonnen, und zwar Reihenbebauung mit vorwiegend Einfamilienhäusern.
Zu jeder Wohnung gehörte ein kleiner Garten, der mit Nutz- und Zierbeeten
sowie mit Obstbäumen bepflanzt den Mietern übergeben wurde.
Eine der Wohnungen wurde vom Architekten der Porzellanfabrik sogar vollständig
eingerichtet und als Musterwohnung präsentiert.
Vergleicht man nun
die Reihenhäuser am Freiberger Bertholdsweg
mit denen in der Hermsdorfer Uhlandstraße, dann stellt man eine
verblüffende Ähnlichkeit fest. In Hermsdorf wurden die Häuser
der Uhland- und wohl auch der
benachbarten Lessingstraße ab 1922 gebaut. Da die HESCHO in
Freiberg in den 1920-er Jahren über eine eigene Bauabteilung verfügte,
ist die architektonische Ähnlichkeit von Bertholdsweg (Foto unten
links) und Uhlandstraße (Foto unten rechts) wohl so verwunderlich
nun auch wieder nicht. |
In
der Porzellanfabrik Freiberg erlernte ich ab 1922 für
4 Jahre den Beruf eines Matrizenschlossers und war anschließend
in meinem Beruf dort auch tätig. Mit Schließung der Freiberger
Porzelline Ende 1931 fand ich, wie zahlreiche andere Facharbeiter, Techniker
und Technologen, in der Porzellanfabrik Hermsdorf eine Arbeitsstelle.
Hier durfte ich mit meiner Frau im Jahre 1936 eine freigewordene Werkswohnung
in der Uhlandstraße Nr. 1 beziehen. Auch das Hermsdorfer Werk war
am Verbleib guter Fachkräfte interessiert. Eine Verpflichtung war
aber mit diesen Werkswohnungen verbunden: Die Mitgliedschaft in der Werksfeuerwehr.
Dazu waren in bestimmten Wohnungen Alarmglocken installiert (an der Fassade
von Haus Nr. 1 weisen noch heute 5 rote Feuermelde-Isolatoren darauf
hin). Fortan war ich mehr als 30 Jahre lang Kamerad der Feuerwehr und
hatte dadurch auch 1945 den Vorteil, sofort nach dem Zusammenbruch im
Werk zur Aufrechterhaltung der Sicherheit weiter beschäftigt zu
werden. Besonders in den Kriegsjahren waren wir Feuerwehrmänner
sehr gefordert, da wir oft über Nacht im Bunker in Bereitschaft
lagen und frühmorgens wieder pünktlich am Arbeitsplatz erscheinen
mussten.
Doch
zurück
zu den Anfängen der Uhlandstraße. Es war
das Gelände zwischen der Bahnhofsvorstadt, die bis in die 1920er
Jahre zu Klosterlausnitz gehörte, und dem Berg. Die einzige Fahrstraße
war die Schillerstraße, die den Raudenbach quasi auf einem Damm überquerte.
Beim großen Hochwasser 1932 staute dieser Fahrdamm die Wassermassen
im oberen, westlichen Teil der Talsenke, sodass sich ein regelrechter
See bildete (Fotos unten). Die gesamte Talsenke war bis hin zur heutigen
Kläranlage und weiterführend bis zur „Hirschwiese“ unbebaut,
den Abschluss bildeten der Wald und die Straße Am Bahnhof.
Etwa ab Mitte der 1930er Jahre fuhren tagtäglich Pferdegespanne, z.
T. aus Oberndorf, den in der Porzellanfabrik anfallenden Schutt zur Auffüllung
in die Talsenke des Raudenbaches. Die damit erforderliche Verrohrung des
Baches führte bis zur Kläranlage. Im Krieg diente die Rohrleitung
bei Fliegeralarm für die Anlieger als Schutzraum. Mit Auffüllung
und Einebnung der Talsenke
wurde der Boden für das Anlegen von Nutzgärten in den Nachkriegsjahren
geschaffen. In den letzten 60 Jahren hat sich die spätere Gartenanlage Schillerstraße
von einer aufgeschütteten Brachfläche zu einer grünen Oase der
aktiven Erholung entwickelt. Das Vereinslokal der Gartenanlage „Schillerstraße“,
die „Kohlrabischänke“, wurde zu einer beliebten Einkehr und über
allen wachen noch heute zwei großen Buchen, wohl die ältesten
Zeugen dieses Areals.
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Nachstehend
einiges zur Bebauung der Uhlandstraße.
Während die Häuser der Lessingstraße von ihrer architektonischen
Gestaltung her sowie bezüglich Zimmergröße und -anordnung
vorwiegend für Beamte bestimmt waren, war die Bebauung der Uhlandstraße
insgesamt schlichter. Doch der Wohnkomfort war für die damaligen
Verhältnisse höher als in so manchen Wohnungen Alt-Hermsdorfs.
Und er wurde noch verbessert. Waren anfangs die Abortes noch im Treppenhaus
als Trockenklos, so wurden später Wasserspülungen installiert.
Das war allerdings mit dem Nachteil verbunden, dass die Spülkästen
bei starkem Frost einzufrieren drohten. Also mussten sie öfter vor
den Nachtstunden entleert werden. Die Klärgruben wurden nach Bedarf
von Landwirten geleert. Mit der späteren Kanalisation wurde dahingehend
eine wesentliche Verbesserung erreicht.
Die Verlängerung der Uhlandstraße bis zur August-Bebel-Straße
führte über das Privatgrundstück von Sägewerksbesitzer
Friedrich Kraft. Nach Grundstücksaustausch war ein Straßenausbau
möglich, auch ein Bürgersteig, teils mit Geländer, wurde
später zur Sicherheit der Fußgänger gegenüber dem
zunehmenden Verkehr angelegt.
Wasserentnahmestellen waren ursprünglich in den 4 Wohneinheiten
der Häuser Nr. 1 und 2, jeweils nur eine direkt im Haus und eine
zusätzlich im Waschhaus, installiert. Bäder wurden erst in
den 1930er Jahren eingebaut, und zwar durch Verkleinerung der Küchen.
Die Küchen hatten einen gusseisernen Herd und in der Wohnstube war
ein Kachelofen. Die Mieter verfügten außerdem über einen
Keller sowie Abstell- und Bodenraum. Die ursprünglich jeder Wohnung
zugeordneten Hausgärten wurden später abgeschafft - es stand
jedem Mieter frei, beim Gartenverein einen Kleingarten zu pachten. Die
Mieten waren für die damaligen Verhältnisse relativ niedrig.
Wer waren nun um
1937 die Bewohner der Uhlandstraße, die in der
HESCHO arbeiteten? Wir wohnten in Nr. 1 zusammen mit den Familien der
Porzellandreher Gustav Gentzsch und Christoph Leukhardt sowie Hermann
Diener, Meister im Massekeller und gleichzeitig Leiter der Werksfeuerwehr.
Gegenüber in Nr. 2 wohnten die Familien Franz Bartosseck (Betriebswachmann),
Emil Burgold (Betriebswachmann), Louis Sacklowski (technischer Zeichner)
und Julius Serfling (Betriebssanitäter). An zahlreiche weitere Bewohner
jener Jahre kann ich mich noch erinnern: Die Porzellandreher Paul Burgold,
Willy Rosenkranz und Max Frenzel, Eisendreher Emil Schmidt, Matrizenschlosser
Georg Walther und Anton Weiß, Modelleinrichter Hans Lohse, Schlossereimeister
Edmund Unger, Angestellten Willy Wolf sowie die Fabrikarbeiter Emil Pechmann
und Emil Walther.
Ergänzend seien auch einige Bewohner der Lessingstraße genannt:
Der praktizierende Arzt Dr. Paul Biering, der spätere Prof. Dr.
Fritz Obenaus, Dr. Walther Schneider, die kaufmännischen Angestellten
Albin Bratfisch, Otto Burgold und Erich Herbst, die Handelsbevollmächtigten
Arno Hädrich und Moritz König, die Lehrer Karl Jahn und Walter
Schmidt, die Ingenieure Friedrich Mayer, Werner Kraft und Willy Werner,
die Diplom-Ingenieure Friedhelm Steyer und Joseph Wallich, Brennmeister
Adolf Nehiba, Meister der Weißbearbeitung Fritz Sosath, Modelleur
Richard Mehler, Matrizenkonstrukteur Otto Storch und Baumeister Paul
Ziesche.
In den Nachkriegsjahrzehnten
trat ein häufiger Wechsel unter den
Mietern ein. Dies besonders in den 1960er Jahren im Zuge des Abrisses
vieler Häuser in der Naumburger Straße zwecks Erweiterung
der KWH. Auch ich bin schließlich 1980 mit meiner Frau in die Waldsiedlung
in eine 2-Zi.-Neubauwohnung mit Fernheizung umgezogen. Und mit mir
gezogen sind unvergessliche Erinnerungen an schwere und zugleich schöne
Jahrzehnte in der Hermsdorfer Uhlandstraße! Ihren jetzigen Bewohnern
einen herzlichen Gruß in alter Verbundenheit! |