"Leiermichel" - Sagengestalt aus der Gaststätte "Zu den drei grauen Ziegenböcken"

 

Carl Vetter, Klosterlausnitz „Der gute Freund“, Beilage „Bote für den Westkreis“ und „Eisenberger Abendpost“ 01.04.1932

 

Hinter einer breitstämmigen Buche, noch durch einen Busch doppelt gedeckt, stand halb gebückt der Wildwart und Jagdknecht Johannes Schlotter. Er hätte den Jagdrüden abdrosseln mögen, so ärgerlich war er, dass dieser zur Unzeit Laut gegeben. Den Schuss hatte er drunten an den Sümpfen vernommen, wie er die Stille des mittäglichen Träumens jäh zerriss, war, den Hund am Riemen, hinausgehetzt, um nun das Nachsehen zu haben. Er überlegte. In das einsame Wirtshaus drüben zu gehen, hatte jetzt keinen Zweck, dort war man gewarnt. Das hatte ganz deutlich die Schnelligkeit des Verschwind­ens gezeigt. Die Marie [Dorothe Marie Zeunert – Gastwirtin 1787 -1793, wegen ihrer roten Haare auch „Rote Marie“ genannt.) hatte er erkannt, den Burschen glaubte er noch nie gesehen zu haben. Was war zu tun? Langsam zog sich Schlotterjohann zurück, vorsichtig jeden Schritt wägend und doch die Augen immer auf den Hof des Teufelswirtshauses gerichtet.
Dann fing er an, in dieser Entfernung, die ganze Lichtung, auf der das Gelände, die Äcker und Viesen um die Schenke lagen, südwärts zu umgehen. Fest hielt er damit den geübten Blick auf den Boden und niederes Gewächs gerichtet. Der Hund‚ am Riemenzeug zerrend und mit der Nase spürend, drei Fuß immer voraus. Soviel war dem Wildwart klar, dass der Schuss auf der freien Blöße gefallen sein musste, und nicht herinnen im Wald, denn sein geübtes Ohr konnte wohl Schall und Schall zu unterscheiden. Lag das Stück nicht, so musste es flüchtig zu Walde gegangen sein und war es getroffen, dann musste der rote Schweiß alles klären, Anschuss wie Schützen­stand. So war diese Pirsch, dieses peinliche Suchen noch dazu in der drückenden Schwüle anstrengend und ermüdend. Wohl schwerlich wäre es so bald geglückt, wenn nicht der gute Schweißhund zur Hand gewesen wäre. Der verhoffte mit einem Mal, nur einen Augenblick, fuhr mit der feinnervigen Nase kurz schnüffeln nach rechts und links und dann mit der Rute wedelnd spannte er sich so in den Riemen, dass er mit dem Kopf Wald einwärts in Richtung des „Zickenmantels“ zu fast auf den Hinterläufen stand. Der Schlotter riss ihn zurück, beruhigte ihn leise und begann dann die starke Schweißspur gründlich anzusehen. „Weidwund“!“ das war alles, was seine Lippe sagten. Es lag aber so viel Abscheu darin und zugleich zorniges Aufwallen, dass man wohl hätte merken können, was in ihm vorging. Von hier ging er die Schweißspur entlang, achtlos, dass der schützende Wald ihn nicht mehr deckte, den Fluchtweg des Wildes zurück auf die Wiese bis zum Anschuss. Hier steckte er ein Reis, das er am Waldsaum zuvor gebrochen hatte, auf und hielt auf das Wirtshaus zu.
Zwischen Stallung und Haus betrat er den Hof, den Hund hatte er losgekoppelt. Auf ihn war verlass. Durch die offene Tür trat er ein. In der geräumigen Küche hantierte Marie. Mit dem unschuldigsten Gesicht der Welt bot sie ihm Willkommen.  Er ging aber gleich aufs Ziel los: „Wo ist der Bursche der kurz nach Mittagläuten geschossen hat?“ Lachend zeigte sie ihm die weißen Zähne, stemmte die kräftigen Arme in die Hüften und den Kopf etwas vorgeneigt, dass ihre Glutaugen sich listig lockend in seinem Blick wühlten, frug sie ihn lächelnd: „Ja, Schlotterhannes, warst's denn nicht Du? Ich hab schon gemeint, ich könnt Dir die Leber braten, wie im Herbst vorm Jahr; weißt Du, wo es dann so lustig war damals?“
Dem Johann Schlotter schien die Erinnerung daran gar nicht zu behagen. Barsch antwortete er: "Lass den Himweg. Wo ist der Bursche? Meinst Du wohl ich hab ihn nicht mit Dir zusammen ins Haus springen sehen?“
Die Marie war schnell mit dem Denken wie mit dem Wort: „Ach, den meinst! Ja so, den fremden Händler, ja der ist weiter. Er wollte von Meineweh aus der Aue sein, gekannt habe ich ihn nicht. Aber er kommt auf die Woche wieder. Und der soll geschossen haben? Wie wir doch die ganze Zeit, auch wie der Schuss klang, bei mir gestanden ist, weil wir über die drei Ziegen nicht einig werden konnten, die er mir beschaffen soll.“ Ungläubig und missmutig sah sie der Jagdknecht an. Sie aber sagte weiter. „Er ist übrigens noch gar nicht weit fort! In den Serbischen und Rauschwitzer Bauerngelängen, wo der Weg über den Zickmantel zum Schwemmteich bei Serba führt könntest Du ihn wohl einholen.“ „Mag er laufen in Dreiteufelsnamen. Wenn er wieder kommt, ist's noch Zeit ihn anzusehen Mit den drei Ziegen aber, Marie hast Du Dich angehängt, da wird's sich erweisen. Denn Meldung und peinlichstes Verhör sind dir gewiss.“
Damit drehte er sich herum, pfiff den Hund und nahm seinen Weg gen Lausnitz. Am Nachmittag noch fand die hastig angesetzte Suchstreife den verendeten Bock, da wo der sogenannte Sandhügel abwärts zur Naumburger Weinstraße sich neigt.
Auf der Wiese beim Teufelsee weideten drein Tage später drei graue Ziegenböcke, die in der Eile die Zeunert Marie sich wer weiß woher beschafft hatte, Milch gaben die zwar nicht, aber das notwendige Beweismittel der Wahrheit. Und die Marie schimpfte auf die gottlose Welt und die Spitzbuben, so die Menschen betrügen und einem ehrlichen Christenmenschen statt Ziegen nutzlose Böcke verhandeln. Als sie aber verlacht mit ihrem Märchen, dass sie die, Böcke von Händler für Ziegen erstanden sagte sie ruhig und ernst mit der unschuldigsten Miene von Welt: „So hört doch, Ihr Herren, wie sich's weiterhin zugetragen und dass die Böcke ja gar nicht verhandelt sind, zumalen ich mitten bei der Nacht von einem Klopfen am Fensterladen ermuntert und gefragt, wer draußen wäre. Da hat eine eilige Stimme gerufen, ich solle aufstehen, denn die Zielen währen da. Und wie ich heraus bin, um sie
über Nacht zum Stall zu bringen und dem Händler zu so ungewöhnlicher Stunde hereinzuholen, da waren die drei Viecher am ersten Füttering, deren draußen an der Giebelseite dreie hängen, angebunden und meckerten kläglich. Aber zu sehen war keine Seele. Wie ich aber die Stricke löste und hofwärts ging, rief‘s vom Walde her: „Hab Eile, Marie, will noch die Drachen von Lausnitz zählen. Ein andermal rechnen wir ab miteinander!“ Und damit hat's vom Walde her gelacht, dass ich ein Kreuz vor der Brust schlug, denn das konnte nur der Gott sei bei uns, der Teufel selber gewesen sein. Und früh beizeiten, als ich zum Stalle ging, wurde es wir offenbar, dass mich hier der Urian geleimt hat, denn überzeugt Euch selbst, Ihr Herren, es sind wirklich Böcke.“
Die Herren vom Amt sahen sich an und ahnten, das hier nichts zu machen sei. Vor der Unschuld mussten sie kapitulieren, genau wie schon so mancher Zechekumpane, der im Wirtshaus am Teufelsee Einkehr hielt.
Aber vergessen wir darum die Geschichte nicht bis auf den heutigen Tag, denn von Stund an hieß die Schänke am Teufelsee Wirtshaus „zu den drei grauen Ziegenböcken“.

 
Es gibt von Paul Heinecke (Eisenberg) in seinen Büchern "Holzlandsagen" 1988 und "Erzählungen und Verbrieftes" 1983 ähnlich lautende Veröffentlichungen.
 

Aufnahme aus dem Jahr 1965 - Leiermichelsitz
Aufnahme aus dem Jahr 1965
Hier zu sehen ist nur eine Bank, ohne Kreuz.

Aufnahme von 1997
Aufnahme von 1997
Die Inschrift am Kreuz lautet:
"In diesem Waldrevier wurde im September 1788 der Wilddieb Leiermischel erschossen und begraben."

Aufnahme von heute.
Aufnahme von heute. Die erklärende Tafel wurde entfernt.

Es gibt keinerlei Belege aus den Akten, die tatsächlich belegen, dass es den besagten Leiermichel tatsächlich gab und ob dieser oder ein anderer Wilddieb hier erschossen wurde. Analog anderer Gaststätten (z. B. "Kanone" Tautenhain) wird dies auf einen findigen Gastwirt zurück zu führen sein.
Die Sage ist aber im Holzland fest verankert und findet sich auch in der Flubezeichnung wieder.
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