90 Jahre Bauhaus - 21.03.1919 - 21.03.2009

 
Vorgängerorganisation für das Bauhaus war das im Jahre 1902 von Henry van de Velde begründete „Kunstgewerbliche Seminar“.

Das Bauhaus wurde am 21.03.1919 aus einer Vereinigung der Großherzoglich Sächsischen Hochschule für Bildende Kunst in Weimar und der 1915 aufgelösten Kunstgewerbeschule Weimar gegründet.

Für die Ausbildung an Kunst- und Designschulen in aller Welt ist es bis heute prägend. Das erste Musterhaus im Bauhausstil „Am Horn“ wurde 1923 in Weimar errichtet. Es war das erste Projekt, welches konsequent in Architektur und Einrichtung von der neuen Sachlichkeit geprägt war. In der Öffentlichkeit galten diese Bauten zunächst als „kalt“, „karg“ und „maschinell“.

In der Zeit der Weimarer Republik galten Lehrer, Schüler und Bewunderer des Bauhauses als „links“ und „internationalistisch“. Politisch rechte Parteien standen von Anfang an in Opposition zum Bauhaus. Nachdem sich die Machtverhältnisse nach der Landtagswahl in Thüringen im Februar 1924 geändert hatten, kürzte die Regierung unter Richard Leutheußer (DVP) den Etat um 50%. Daraufhin boten sich andere Städte den Lehrern und Schülern als neue Standorte an. Finanziell und politisch von der Thüringer Regierung unter Druck gesetzt, beschloss der Meisterrat 1925 den Umzug nach Dessau. Dort bot der Flugzeugbauer Hugo Junkers eine Förderung, zudem herrschte in dieser Industriestadt eine stabile sozialdemokratisch und liberal orientierte Mehrheit. Das Weimarer Bauhaus wurde schließlich 1925 aufgelöst.

Nach dem Umzug nach Dessau entstanden dort die ersten Möbel aus dem neuartigen Material Stahlrohr und die Zusammenarbeit mit der Industrie begann.

Am 04.12.1926 wurde das neue Bauhausgebäude in Dessau eingeweiht. Der vollständig verglaste Werkstattflügel zur Straßenseite beeindruckte besonders, ebenso die gleichzeitig errichteten Wohnhäuser, die wie das Bauhausgebäude konsequent und mustergültig die entwickelten Vorstellungen von Wohnen und Arbeiten vereinten.

Im Jahr 1945 wurde das Gebäude des Bauhauses in Dessau teilweise zerstört und erst 1976 wieder rekonstruiert.

 

Bauhaus und Hermsdorf

 
Straßenentwässerung und Kanalisationsarbeiten Dringend notwendige städtebauliche Maßnahmen waren in den 1920er Jahren ein vorrangiges Thema der Politik. Allein in Thüringen fehlten 1923 rund 35.000 Wohnungen. Trotz Hauszinssteuer konnten kleinere und mittlere Gemeinden zu Anfang des Jahrzehnts kaum angemessene Neubausiedlungen finanzieren.

Der erste Komplex, der nach Planung des 1919 in Gera gegründeten Architektenbüros Schoder gebaut wurde, entstand 1926 in Hermsdorf. Hier hatte sich 1890 die Porzellanfabrik, als Tochtergesellschaft der Kahlaer Porzellanfabrik, angesiedelt. Ausschlaggeben dafür war der reiche Waldbestand und die verkehrsgünstige Lage zwischen Gera und Weimar. 1876 war die Bahnlinie, mit Bahnhof Hermsdorf - Klosterlausnitz, Post- und Telegrafenstation in Betrieb gegangen. In den folgenden Jahren bildete sich ein Netz von Zulieferbetrieben und Hermsdorf entwickelte sich zu einem mittelständischen Industriezentrum. Bereits 1905 existierte ein Generalbebauungsplan für das gesamte Stadtgebiet, der aber ebenso wie spätere Pläne das gleiche Schicksal ereilte und nie verwirklicht wurde. 

In den frühen 1920er Jahren kam der Wohnungsbau zunächst zum Erliegen. Die daraus resultierende Wohnungsnot zwang die Gemeinde Mitte der 1920er Jahre, eine große Siedlung zu planen. Gemeinderat und  Bürgermeister entschieden sich für eine moderne Blockbauweise. Ursprünglich war Schoder mit der Errichtung eines 15-Familien-Hauses beauftragt worden. Die Grundsteinlegung in Hermsdorf erfolgte, wie im Artikel vom 15.05.1926 beschrieben, noch als 15-Familien-Haus. Während der Bauphase wurde das Projekt einfach verdoppelt und das 30-Familien-Haus gebaut. Es entstand ein dreigeschossiger, kompakter Block mit rechtwinklig angelagerten Nebengebäuden, in denen Bäder, Ställe, Waschhäuser und Trockenböden untergebracht waren.

Foto links: Straßenentwässerung und Verlegung der Kanalisation auf der Straße Am Neuen Haus im Jahr 1926. Der Bau des Hauses hatte zu dieser noch nicht begonnen. Die Arbeiten dienten der Vorbereitung. Im Bild Willy Planer, später Angestellter bei der Gemeinde Hermsdorf.

 
Beginn der Bauarbeiten am 15-Familien-Haus, später 30-Familien-Haus

Beginn der Bauarbeiten für das 15-Familien-Haus, später 30-Familien-Haus 1926

Beginn der Bauarbeiten am 15-Familien-Haus, später 30-Familien-Haus

Beginn der Bauarbeiten für das 15-Familien-Haus, später 30-Familien-Haus 1926
 

Grundsteinlegung 15-Familienhaus "Am neuen Haus"
Die Grundsteinlegung fand am Dienstag, 11.05.1926 statt, der Artikel erschien am Samstag, 15.05.1926
Bote für den Westkreis - Artikel vom 11.05.1926

Bemerkung:


Wiedergabe rechts in neuer Rechtschreibung, mehrere Namen berichtigt und Ergänzungen [ … ] eingefügt, der Inhalt wurde original wiedergegeben.

HERMSDORF: In Anbetracht der hervorragenden sozialen Bedeutung, die der Wohnungsbau  in unseren Tagen gewonnen hat, beschloss der Kulturausschuss, die Grundsteinlegung zum Neubau an der Reichenbacher Straße etwas feierlicher zu gestalten. Zu diesem Zwecke versammelten sich wie bereits kurz mitgeteilt, am vergangen Dienstagabend gegen 6 Uhr die Bauleitung, Bauausführung, Herren der Gemeindeverwaltung und Gemeindevertretung an der Baustelle. Die Feier wurde Punkt 6 Uhr begonnen. Zunächst ergriff namens der Bauleitung (Architektenbüro Schoder, Gera) Herr Architekt [Ernst] Trommler das Wort. Er verbreitete sich über die große Schwierigkeit die schweren Sorgen, die das zu allen Zeiten notwendige Bauen von geeigneten Wohnstätten heute bereitete, und unterstrich mit kurzen, kernigen Worten die Tatsache, dass mehr denn je, beim Bauen mit einer bestimmten Geldsumme gerechnet werden muss, die nicht zu überschreiten gerade die Kunst jeder Bauleitung sei, eine  Aufgabe, der sich das Büro, das sich das Büro, das er vertrete, vollkommen bewusst bleibe. Seine Gedanken in die Worte von einer sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Bedeutung des Bauens zusammenfassend, die auch im äußeren Anblick des Baues zum Ausdruck gebracht werde, beglückwünschte er schließlich die Gemeinde zu dem Weitblick, den sie unter der Führung des neuen Gemeindevorstehers mit diesem Neubau bekunde. Darauf verlas Herr Bausekretär Humbroich [Alfred Bausekretär Bahnhofstr.11] die Urkunde über die Grundsteinlegung, die in einer Blechkapsel eingelötet, in die Öffnung des Grundsteines eingeschlossen wurde Der Urkunde wurden beigefügt:
1.       Liste der derzeitigen Gemeindevertretung sowie des derzeitigen Gemeindevorstandes.
2.       Ein gedrängter Zeitbericht vom Mai 1926.

3.      
Marktbericht vom 08.05.1926.
4.       Der Haushaltsplan 1926 / 1927.
5.       Je eine Nummer vom Tage der Grundsteinlegung der in Hermsdorf am meisten verbreiteten Zeitungen:
          - "Das Volk"
          - "Der Holzländer"
          - "Bote für den Westkreis".


Darauf  ergriff Herr Gemeindevorsteher Zschätzsch [01.08.1924 bis 09.04.1929 Bruno Zschätzsch, stellv. Franz Tuma] das Wort zu folgenden Ausführungen:

Der Hausbau ist beinahe zu einer Existenzfrage geworden, die nicht nur die heutige, sondern auch die zukünftige Generation angeht. Das Bauen geeigneter, menschenwürdiger Wohnstätten ist zu einer Kulturfrage von geradezu geschichtlicher Bedeutung geworden. Nach den Gesichtspunkten der noch Nicht begreifenden kann nicht gehandelt werden. Es gilt herauszuschauen aus des Tages Elend und Not. Die Nachkommen werden es den heute Lebenden danken, sowie diese für alle  den jüngst vergangen schweren Jahren ausgeführten Wohnbauten dankbar sein. Bauen heißt Kultur betreiben. Schöne, gesunde, licht-  und luftzugängliche Häuser sollen erstehen. Die Sehnsucht nach einem schönen Wohnen ist die Sehnsucht nach einer schönen Kultur. Möge der Bau ohne Unglück und ohne Einbuße von Menschenleben zu Ende gebracht werden! Mögen die Einziehenden von Gemeinschaftsliebe beseelt sein, denn fünfzehn Familien sollen in Zukunft in dem erstehenden Baue gemeinschaftlich zusammenleben. Wir haben aufgehört, Einzelwesen zu sein, der Einzelne muss mehr und mehr lernen, sich den Beschränkungen zu unterwerfen, die die Gemeinsamkeit fordert. Möge das Haus auch eine Schule des Gemeinschaftslebens sein!

Diesen Wunsch begleiteten die üblichen drei Hammerschläge. Darauf wurde noch eine Reihe von Hammerschlägen vollzogen. Herr Baumeister Zische, Vorsitzender des Bauausschusses, bekräftigte seine Schläge mit den Worten: Möge das ein bescheidener Anfang sein! Herr Humbroich sprach: So alt wie der Stein möge des Hauses bestehen sein!

Seitens der Bauausführung, der Herren Bauunternehmer Fabian, Kröscher (Hermsdorf), Heuschkel (Reichenbach), schlug Herr Fabian, nach alten Baumeisterbrauch, um den Segen des großen Weltenbaumeisters zu Anfang und Vollendung des Baues. Weitere Hammerschläge erteilten die Herren Löscher, Beigeordneter Tuma, Vorsitzender des Gemeinderates und der sozialdemokratischen Fraktion, mit den vertretenen Richtungen entnommenen  wohlgemeinten, kernigen Worten. Ein prächtiger Regenbogen war inzwischen im Südosten des Bauplatzes erschienen. Möge dieses uralte Symbol des Friedens - Frieden in die Grundmauern des großen Familienhauses hineingeleuchtet und in den Grundstein mitversiegelt haben. (Ammon).


Karl Wilhelm Thilo Schoder (* 12. Februar 1888 in Weimar; † 8. Juli 1979 in Kristiansand, Norwegen) gilt als der Architekt des Hauses in Hermsdorf, unter Mitarbeiter von Ernst Trommler.

Seine Tätigkeit als Architekt für den Siedlungsbau erstreckt sich auf den kurzen Zeitraum von nicht ganz fünf Jahren. In dieser Zeit entwarf er zwölf verschiedene Siedlungen für kleinere und mittlere Industriezentren in Thüringen und Sachsen, von denen nur sechs realisiert werden: Hermsdorf, Meuselwitz, Saalfeld und Gera in Thüringen sowie Rötha und Zwenkau in Sachsen.  Diese Siedlungsbauten weichen in der Anzahl ihrer Wohnung - im Durchschnitt 30 bis 50 - wiederum stark vom projektierten ab. … Bis heute ist der Begriff „Siedlung“ nicht definiert. Zur Zeit ihrer Entstehung wurden die Mietetagenhäuser - ungeachtet ihrer projektierten Kapazität - auch von Schoder selbst als „Siedlung“ bezeichnet. Sie waren durch ihre Ausstrahlung mit Gemeinschaftseinrichtungen und Grünanlagen als selbstständige Komplexe geplant.

Doch kaum ein Bauvorhaben ist im anvisierten Umfang ausgeführt worden.


Ernst Trommler
war Schüler/Mitarbeiter von van de Velde und hat um 1930 ein Fertigteilsystem entwickelt Er entwarf und verwirklichte als erstes Werk des Architektenbüros Schoder das 30-Familien-Haus in Hermsdorf. Außerdem plante er außer Konkurrenz am Projekt Reichsehrenmal bei Bad Berka (1932).


Das 30-Familien-Haus in Hermsdorf wurde in einer relativ kurzen Bauzeit errichtet. Die Grundsteinlegung erfolgte am 11.05.1926.

In der Zeitung „Das Volk“ vom 31.12.1926 veröffentlicht der damals mehrheitlich regierende SPD Stadtrat einen Artikel über die erreichten Erfolge des Jahres. Darin wurde der Eindruck erweckt, als sei das Haus fertig. Tatsächlich war dies dann aber erst Anfang 1927 der Fall. Vergleicht man die erhalten gebliebenen Originalaufnahmen mit denen im genannten Artikel, erkennt man, das zahlreiche Fenster, Balkontüren usw. fehlen.

In den Unterlagen des Architektenbüros Schoder wurde die Übergabe auf 1927 datiert. Die Liste über den Erstbezug ist ebenfalls von Anfang 1927 datiert.

Erstbezug Mieter (mit vorheriger Adresse):

Beyer, Erich - Oberndorfer Weg
Böhme, Richard - Ernststraße
Brunner, Herrmann - Naumburger Straße
Busch, Fritz - Naumburger Straße
Dietz, Ernst - Naumburger Straße
Frentzel, Max - Bahnhofstraße
Friedrich, Albrecht - Sparkasse
Gleichmann, Ernst - Eisenberger Straße
Gräfe, Herrmann - Schillerstraße
Klaus, Karl - Uhlandstraße
Kraft, Karl - Naumburger Straße
Müller, Willy - Eisenberger Straße
Nützer, Arthur - Rodaer Straße
Petermann, Emil - Reichenbacher Straße
Petermann, Herrmann - Naumburger Straße
Plöner, Otto - Rodaer Straße
Plötner, Richard - Feldstraße
Riedel, Herrmann - Markt
Rohmann, PH. - Ernststraße
Rosenkranz, Toska - Brunnengasse
Schaab, Herrmann - Eisenberger Straße
Schilling, Herrmann - Schulstraße
Schmidt, Otto - Naumburger Straße
Schramm, Otto - Oberndorfer Weg
Serfling, Louis - Ernststraße
Strazkowski,Th. - Schillerstraße
Tischendorf, Willy - Bergstraße
Übel, Albin - Bergstraße
Vogel, Walter - Eisenberger Straße
 
Aus welchen Gründen auch immer, es werden vermutlich solcher finanzieller Art gewesen sein, wurde das Haus bis zur Übergabe und auch danach nie fertig gebaut. Am gesamten Projekt fehlte nur noch eine Kleinigkeit, aber eben eine entscheidende. Die dem Bauhausstil typischen klaren Formen sollte damit Rechnung getragen werden, das in den beiden unteren Etagen sogenannte „Bauchbinden“ die Ziegelwände unterteilen. Diese Flächen, auf die die Streifen hätten aufgeputzt werden müssen, wurden nicht mit Ziegelsteinen, sondern großen Hohlblocksteinen gemauert, aber nie wie geplant verputzt. Das bedeutete mit Neubau den Anfang vom Ende.

Die vom Architektenbüro Schoder entworfenen, heute bis zur Unkenntlichkeit veränderten, herunter gekommenen oder sanierten Siedlungshäuser fallen dennoch in ihrer Umgebung auch heute noch auf.
 
Bauzustand am 05.08.1926 (links) und Ende September rechts.   Bauzustand am 05.08.1926 (links) und Ende September rechts.
Bauzustand am 05.08.1926 (links) und Ende September rechts.
Teilansicht auf der Vorderseite (Straße) links und der Rückseite rechts im Jahr 1927.   Teilansicht auf der Vorderseite (Straße) links und der Rückseite rechts im Jahr 1927.
Teilansicht auf der Vorderseite (Straße) links und der Rückseite rechts im Jahr 1927.
Zu erkennen, dass die Außenanlagen noch nicht fertig gestaltet sind.
Auf beiden Fotos auch deutlich zu erkennen, die Streifen mit den Gasbetonsteinen, auf denen der Putz fehlt.
Gesamtansicht 1927 Straßenseite in Richtung Osten
Gesamtansicht 1927 Straßenseite in Richtung Westen
 
Vorderseite 1927 - Auch hier sehr gut erkennbar der fehlende Putz auf den Bauchbinden.
Vorderseite 1927 - Auch hier sehr gut erkennbar der fehlende Putz auf den Bauchbinden.
Vorderseite 1927 - Auch hier sehr gut erkennbar der fehlende Putz auf den Bauchbinden.
Rückseite 1927 - Auch hier sehr gut erkennbar der fehlende Putz auf den Bauchbinden.
Gesamtansicht 1926 der Rückseite - erkennbar noch fehlende Balkontüren.
Gesamtansicht 1926 der Rückseite - erkennbar noch fehlende Balkontüren.
Beim Einzug 1927 bereits eingebaute Möbel.  
Beim Einzug 1927 bereits eingebaute Möbel.
Am 28.10.1930 ausgefertigte Kopie des Flurstückes Am Neuen Haus.
Am 28.10.1930 ausgefertigte Kopie des Flurstückes Am Neuen Haus.
Links das 10-Familien-Haus (Nummer 1).
30-Familien-Haus von links Haus Nr. 2 bis rechts Nr. 7.
 

Die weitere Entwicklung des 30-Familien-Hauses in Hermsdorf

 
Nach dem offiziellen Erstbezug 1927 gab es für die neuen Mieter zunächst glückliche Zeiten. Sie bezogen ein für damalige Verhältnisse modernes Gebäude. Die Wohnungen waren teilweise mit Einbaumöbeln ausgestattet. Die weiteren Jahre verliefen dann weniger schön, die Probleme wurden Zusehens größer. Wie bereits beschrieben war das Haus nie fertig geworden. Der fehlende Putz auf den „Bauchbinden“ führte dazu, dass die Großblocksteine schnell verwitterten. In die Löscher drang Feuchtigkeit ein, die samt Kälte in die Wohnungen gelangte. Spatzen fühlten sich in dieser Zeit besonders wohl, ihnen standen Massen von „Reihenwohnungen“ zur Verfügung. Das Dach des Hauses, ein Flachdach, hätte ebenfalls besonderer Aufmerksamkeit und Pflege bedurft, erhielt diese aber nie. Nach einiger Zeit regnete es durch.
 
Am 15.07.1932 verursachten sehr starke Niederschläge ein Hochwasser in Hermsdorf und Umgebung. Schäden entstanden am Alten Markt, wo später ein stark beschädigtes Haus abgerissen werden musste. Von der Gaststätte „Bockmühle“ wurde eine Ecke weggerissen und im Zeitzgrund wurde der Bahndamm unterspült, so dass eine Lok umstürzte. Aber auch die Mieter des 30-Familien-Hauses dürften sich gewundert haben, dass das auf dem Berg gelegene Areal völlig unter Wasser stand. Des Rätsels Lösung findet sich in alten Karten. Das Haus steht auf einem trocken gelegten Tümpel und das Wasser hat sich seine alten Wege gesucht.
 
15.07.1932 Hochwasser in Hermsdorf: Bild oben am Alten Markt unten, die Hofseite des 30-Familien-Hauses.
15.07.1932 Hochwasser in Hermsdorf: Bild oben am Alten Markt unten, die Hofseite des 30-Familien-Hauses.
15.07.1932 Hochwasser in Hermsdorf: Bild oben am Alten Markt unten, die Hofseite des 30-Familien-Hauses.
 
Im Jahr 1952 wanden sich Mieter des Hauses mit einem Leserbrief an die Zeitung „Das Volk“, der bei der Obrigkeit in Hermsdorf „auf Verständnis“ traf. Zitat aus einem Antwortbrief - der wegen seiner Überlänge nicht gedruckt werden konnte - vom 17.01.1952:

„Wie schon im Leserbrief zum Ausdruck kommt, ist in den vergangenen Jahrzehnten an den Häusern, die jetzt von uns verwaltet werden, straflässig gesündigt worden. In der Zeit der Weimarer Republik hat man diesen hässlichen, kasernenartigen Wohnblock mit flachem Dach hingesetzt und seit dem ist nicht viel daran gemacht worden. Während der Nazizeit wurde ja Geld und Material für den Krieg gebraucht. In den ersten Nachkriegsjahren fehlte es an Baustoffen und allem möglichen dazu. Heute stehen nun die Häuser verwahrlost da und es muss viel geschehen, um den weiteren Verfall Einhalt zu gebieten.“

Unterzeichnet wurde dieser Brief durch:

- Theresa Katschner, Dienstleistungs- und Versorgungsbetrieb der Gemeinde Hermsdorf,
- Erich Präßler, Bauamt der Gemeinde,
- Johannes Rabitzsch, als Bürgermeister (20.04.1949 bis 03.10.1952) für den Gemeinderat.

Allein in diesem kurzen Abschnitt kommt das Unvermögen und die fehlenden Bildung der damaligen Verwaltung zum Ausdruck. Diese Umschreibung des Bauhausstils dürfte einmalig sein. Dass eben auch sieben Jahre nach dem Krieg und drei Jahre nach Gründung der DDR nichts unternommen wurde um Schäden zu beheben oder zu begrenzen wurde verschwiegen. In der geforderten und nicht erfolgten Gegendarstellung sollten die Leserbriefschreiber noch den Ratschlag bekommen öfter die öffentlichen Sitzungen zu besuchen um Probleme anzusprechen.

Im Februar 1952 begannen Planungen, Bauanträge usw. zum ersten großen Umbau des Hauses, nämlich der Aufbringung eines Satteldaches.

16.02.1954 - Die Übergabe des umgebauten Dachgeschossaufbaus (Satteldach) erfolgte. Dies war der erste bedeutende Eingriff in die Bauhaus-Architektur des Hauses.

16.12.1957 - Hausversammlung mit den Mietern. Diese [Zitat] „…wurde einberufen, weil durch das Abbrechen der kleinen Balkone, Verputzen, sowie Einbau von 30 neuen Kastenfenstern, Ausmalen der Küchen mit neuen Fußbodenbelägen …“ Kosten in Höhe von 25.610,94 DM entstanden. Die Mieten wurden deshalb auf 21,25 bis 23,55 DM erhöht.
Mit diesem Umbau war der zweite Eingriff in die Bauhaus-Architektur des Hauses erfolgt.

Die Fenster und Türen, im Standard von 1927 eingebaut, waren in die Jahre gekommen. Einige Mieter griffen zur Selbsthilfe und bauten ihren Balkon zu. Ein Mieter stellte an die Gemeinde am 13.10.1955 einen Antrag, den Balkon verkleiden zu dürfen. Dies wurde abgelehnt: „Soll doch in eigenes Grundstück ziehen, wenn es zu kalt ist.“

Am 19.11.1955 ging ein Schreiben an Hausgemeinschaften und Mieter Karl Gießhöfer, Gernt, Fischer und Böhme. Sie wurden aufgefordert den Beschluss zur Entfernung der zugemauerten Balkone durchzusetzen. Trotz der Tatsache, dass zu dieser Zeit bereits geplant wurde alle Balkone zu entfernen.

Am 24.04.1957 erfolgte die Anforderung eines Kostenvoranschlages für Hausumbau bei Walter Grünold, Baugeschäft St. Gangloff.

Am 16.12.1957 wurde in einer Hausverwalterversammlung Kurt Krautwurm, Werner Beyer, Hermann Riedel, Fritz Rank, Richard Böhme, Max Riedel (ein Hausverwalter fehlt) diese über den Abriss der Balkone auf der Hofseite und dem Umbau der Küchen informiert.

22.02.1960 - Antrag der Gemeinde an den Rat des Kreises zum Verputzen der Vorderfront, Umbau der Fasade.

  • 05.06.1961 - Der Rat der Gemeinde Hermsdorf beschloss ,die Vorderfront des Hauses vollständig umzubauen und zu verputzen. Bis zu dieser Zeit war das Haus unvollendet. Gemäß dem Bauhausstil wäre es nötig gewesen, die bis dahin sichtbaren Großblocksteine zu verputzen und so die typische „Bauchbinde“ zu erhalten. Dies unterblieb und die Steine verwitterten.
  • 13.07.1962 - Der Plan zur Fassadenänderung des 30-Familien-Hauses war erstellt.
  • 11.09.1962 - Baugenehmigung für die Fassadenänderung erteilt.
  • 27.09.1962 - Abschluss eines Baubetreuungsvertrages zwischen der Gemeinde Hermsdorf und dem Kreisbauleiter.
  • Der Einbau von 30 Bädern wurde beim VEB (B) Bau Jena angemahnt.
  • 17.07.1963 - Der „Bauelementevertrag“ wurde bei der Gemeinde angemahnt. Vor Vertragsabschluss und Genehmigung durch den Bezirk war keine Lieferung der Fenster möglich.
  • 03.03.1964 - Neue Kastenfenster wurden eingebaut (7.279,74 DM).
  • 27.11.1964 - Die PGH des Malerhandwerks „Einheit“ Hermsdorf hatte laut Rechnung über 1.692,05 DM die neu eingebauten Fenster gestrichen.
  • 26.05.1966 - Laut Rechnung des VEB (K) Bau Jena wurden im März bis Mai 30 Stück Badewannen, Badeöfen, Feuchtraumspiegel, Ablageplatten montiert. Die Kosten beliefen sich auf 26.510,03 Mark. Zu nutzen waren diese noch nicht, da erst im Juli 1967 die Restarbeiten (Einbau Ofenrohre u. a.) erfolgten und 2.417,12 Mark kosteten.
  • Zwischen 1964 bis zum 21.07.1967 gibt es zahlreichen Schriftverkehr zum Umbau. Die letzte Rechnung wurde am 21.07.1967 gestellt. Der Umbau der Fassade war damit 1967 abgeschlossen. Mit diesem Umbau war der dritte und erheblichste Eingriff in die Bauhaus-Architektur des Hauses erfolgt.
  • 30.09.1968 - Obwohl bereits in Rechnung gestellt (26.05.1967) waren von den 30 Bädern drei noch nicht eingebaut, der sofortige Einbau wurde angemahnt.

Am 13.10.1962 erging über die Hauswarte an alle Mieter die Belehrung: „Bei den Umbauarbeiten … werden die Geländer von den Balkons und die Stufen von der Straßenseite entfernt. Da diese Materialien in anderen gemeindeeigenen Häusern dringend benötigt werden, bitten wir Sie höflichst dafür Sorge zu tragen, dass diese nicht anderweitig veräußert werden. Die Mieter sind davon zu verständigen.“ [gez. Heyer Bürgermeister]

Die neu eingebauten Fenster und Türen wurden dann 1964 gestrichen.

01.01.1967 - Der Wohnblock „Am Neuen Haus 2 bis 7“ wurde durch den Rat der Gemeinde Hermsdorf in die Rechtsträgerschaft der Kommunalen Wohnungsverwaltung (KWV) übergeben.

Von März 1966 bis Juli 1968 wurden in einer weiteren Aktion im Haus Bäder eingebaut.

Der ehemalige Charakter des Hauses war völlig verloren gegangen. Es gab zwischen 1945 und 1968 nur einen einzigen Vorschlag den Baustil zu erhalten und trotzdem die Wohnungen zu sanieren. Dazu sollte ein kompletter Innenumbau erfolgen, der weniger Wohnungen zur Folge gehabt hätte. Der Vorschlag wurde verworfen.

14.11.2008 - Durch mehrfache Umbauten ging der Bauhausstil vollständig verloren und lässt sich heute nur noch auf der Rückseite deuten.

  1. Zuerst wurden auf der Hofseite die kleinen Balkone abgerissen, um die Küchen umzubauen.
  2. Dann wurde das Bauwerk mit einem Satteldach versehen.
  3. Letztlich erfolgte die vollständige Veränderung der Fassade auf der Straßenseite.

Ab nicht nur diese Umbauten verunstalteten den Bauhausstil. Dazu zählen auch zahlreiche „Veränderungen“ im Umfeld des Hauses durch die Mieter, wie den Anbau von Schuppen, Garagen usw. genehmigt durch Gemeinde und Wohnungsverwaltung der Vergangenheit.
In einem Presseartikel der OTZ vom 14.11.2008 „Bauhaus Leben einhauchen Neues Haus Zukunftsprojekt im Stadtumbau - Leitbild für Rückbauvorhaben der Stadt“ wurde über dieses Haus geschrieben. Ob dies im Zusammenhang mit der 90-jährigen Bauhausgeschichte, die 1919 begann, erfolgte oder nicht sei dahingestellt.
Es wäre mehr als wünschenswert, wenn ein solches historisches Gebäude erhalten bliebe. Noch wünschenswerter wäre, wenn es seinen ursprünglichen Stil wieder bekäme. Angesichts der Tatsache, dass solche Bauwerke (die alle unter Denkmalschutz standen) wie die „Teufelstalbrücke“ und die Raststätte „Teufelstal“ abgerissen wurden, wenig glaubwürdig. „Rückbau“ im Wohnungsbau dient doch heute dem Ziel, Leerstände zu reduzieren und Kosten zu sparen.  Der Bauhausstil, so wie ursprünglich geplant, kann nie wieder hergestellt werden. Rückbau für ein solches Haus würde bedeuten, dass es nicht mehr 30, sondern 15 Höchsten 20 moderne Wohnungen innen, in einer auf „alt“ gemachten Hülle gibt. Auch die Mieten würden dann sehr modern.
Unter den heutigen Möglichkeiten dürfte es kein Problem sein, das Haus wieder in seinen Urzustand zu versetzen. Angesichts leerer Kassen stellt sich nur eine Frage: „Wer soll das bezahlen!“ Zitat aus dem Artikel: „Aber, ob wir das noch erleben?“ Wir würden es uns wünschen - allein es fehlt der Glaube.

Bleibt noch zu erwähnen, dass der Neubau des Hauses der Straße den Namen gab. Auch die 1917 dort in der Nachbarschaft angelegte Kleingartenanlage trug von 1951 bis 1964 den Namen „Am Neuen Haus“. Nachdem in Hermsdorf dann viele neue Häuser gebaut wurden, erfolgte die Umbenennung in „Am Roten Strumpf“ heute „Roter Strumpf“.

 
Oben und unten: Ansicht des Hauses 2008 vor der Sanierung der Straße.
Oben und unten: Ansicht des Hauses 2008 vor der Sanierung der Straße.
Oben und unten: Ansicht des Hauses 2008 vor der Sanierung der Straße.
 

Im Zusammenhang mit dem 50-jährigen Jubiläum des Chinaprojektes der Keramischen Werke Hermsdorf   tauchte die Behauptung auf, dass die Sheddach - Halle des Betriebes Ferrite im Bauhaus-Stil errichtet sei. Angeblich sollte Dr. Peter Dobras 2007 nach seiner Rückkehr aus China darüber an der Uni in Braunschweig einen Vortrag halten. Daraus ist durch seinen Tod nichts geworden. Weiteres ist dazu noch nicht bekannt, wir bleiben daran.

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